Von Neiße zu Neiße / Wot Nysy do Nisy
Im Hochsommer 2018 bin ich zu Fuß mit einigen unterstützenden Eisenbahn-Abkürzungen von der Lausitzer Neiße bei Ostritz/Wostrowc zur Glatzer Neiße nach Kłodzko/Glatz durch die Sudeten gewandert. Ich veröffentliche hier mein Bild-Wandertagebuch, das es zuvor bereits unter dem Hashtag #WotNysyDoNisy auf Twitter zu lesen gab.
Vorbemerkungen:
1. Unterwegs war ich vom 31.7. - 5.8.2018. Hauptfortbewegungsmittel sollten meine Füße und ergänzend immer wieder die Bahn sein. Kein Auto. Niemals.
2. Ich war insgesamt 5 Tage im Schnitt von 8-19 Uhr auf den Beinen. Trotzdem ist die Strecke in dieser Zeit mit einem Tagesschnitt zwischen 25 - 30km wandernd nicht machbar. Dafür sollte man 7-8 Tage einplanen.
3. Wer auf der Karte mitgucken will, hier ein paar zentrale Wegpunkte: Krzewina Zgorzelecka - Černousy - Nové Město pod Smrkem - Smrk/Tafelfichte - Szklarska Poręba - Sobieszów - Kowary - Lubawka - Adršpach - Broumov - Kudowa-Zdrój - Kłodzko.
Vorbemerkungen:
1. Unterwegs war ich vom 31.7. - 5.8.2018. Hauptfortbewegungsmittel sollten meine Füße und ergänzend immer wieder die Bahn sein. Kein Auto. Niemals.
2. Ich war insgesamt 5 Tage im Schnitt von 8-19 Uhr auf den Beinen. Trotzdem ist die Strecke in dieser Zeit mit einem Tagesschnitt zwischen 25 - 30km wandernd nicht machbar. Dafür sollte man 7-8 Tage einplanen.
3. Wer auf der Karte mitgucken will, hier ein paar zentrale Wegpunkte: Krzewina Zgorzelecka - Černousy - Nové Město pod Smrkem - Smrk/Tafelfichte - Szklarska Poręba - Sobieszów - Kowary - Lubawka - Adršpach - Broumov - Kudowa-Zdrój - Kłodzko.
Tag 1
Zunächts mal ganz gemütlich aus meinem kleinen westsudetischen oberlausitzer Vorgebirgstal rüber zu unserem Bahnhof. Božemje, liebe Pappelallee. Ich wünsch Dir Regen.
Pommritz/Pomorcy, mein lieber Bedarfshalt und Tor zur großen Welt, unten am Rand der sarmatischen Ebene.
Und hinüber geht es zur Neiße.
Die Lausitzer Neiße. Links ist Ostritz und gleich am Fluß das "Hotel Neißeblick", das ein moralisch bankrotter Hesse aus Biblis derzeit zu einem Nazi-Festivalgelände aufbaut. Rechts liegt der seit 1945 polnische Bahnhof von Ostritz. So ist das hier.
Wenn man nett ist, attestiert man der polnischen Oberlausitz, diesem unglaublich vergessen wirkenden Landstrich zwischen den Welten, "ruppigen Charme". Wie hier in Lutogniewice.
Und überall über den trockenen lausitzer Fluren die Landeskrone. Und nach 5km ist man plötzlich im Böhmischen.
#Sudetenwege. Ganz hinten schaut der Smrk/die Tafelfichte herüber. Da will ich heute hin und hinauf.
Ja, ich habe als Bohemist da einen Bias: Aber im Böhmischen wird es irgendwie immer gleich pittoresk. Z.B. schon im ersten Dorf, in Andělka (!), wo man zudem durch einen mir unglaublich sympathischen Ziegenbock begrüßt wird.
Das hier war mal das Dörfchen Wiese an der Smědá/Wittig. Und nein, ich mache mich nicht lustig. Ich finde das sehr anrührend und unglaublich charmant.
Bei der Umbenennung nach 1945 wurde aus dem malerisch im Flußtal gelegenen Wiese dann kurzerhand Ves. Was schlicht Dorf heißt und den @lauterbautzner bestimmt sehr freut.
Klar hält in Černousy der Zug. Denn wir sind hier im Gelobten Land, wo man das Geld nicht in die Umasphaltierung von platt gemachten Nebenbahnen in Radwege steckt, sonder diese Nebenbahnen lieber saniert und Züge fahren lässt. Shout outs an @schienenstrang und @jaroslavrudis.
Und die Zugbegleiterin hat mich sogar mit meinen Euromünzen zahlen lassen. Děkují!
Umstiegspause in Frýdlant. Gulasch, Knödel und Gambrinius im Bahnhofsrestaurant. FICK DICH, deutscher Autofetisch! FICK DICH, deutsche Bahnreform! FICK DICH, deutsche Verkehrspolitik!
Warum überhaupt da weg? Warum sollte man irgendwo anders sein wollen, als im Bahnhofsrestaurant von Frýdlant? Überhaupt außerhalb von Frýdlant? Raffte mich dann doch auf und nahm den Zug hinauf nach Nové Město, über dem der Smrk fies in der Hitze smrkte.
Zu meinem Aufstieg auf den Smrk/die Tafelfichte möchte ich nur sagen: Es war ein beschissener, anstrengender, sich ewig hinziehender, mieser Nordhangaufstieg. Kilometer des Hasses und der Agonie.
Oben vom Turm dann die waldigen, langsam gesundenden Weiten des in den 1980ern vom Sauren Regen noch in eine Apocalypse verwandelten Isergebirges. Und ein langer Tag, der in sich zusammenfällt.
Nebenan auf dem Stóg Izerski/Heufuder, wieder in Polen, war in der Baude zwar irgendwie nur Notbetrieb. Aber ich bekam ein Zimmerchen. Mit meinem Abendbrot und etwas leichter Lektüre ging es auf die Terrasse mit ihrem sagenhaften Weitblick auf den Flusslauf der Kwisa/Queis, der alten Landesgrenze zwischen Oberlausitz und Schlesien. Dobru nóc.
Tag 2
Dobre ranje! Mit leerem Bauch (wir erinnern uns: Notbetrieb) geht es durch den Tann des Isergebirges über die #Sudetenwege weiter ostwärts.
Doch in dessen Mitte liegen die sumpfigen Quellwiesen der Jizera/Isera/Iser und bis zur Vertreibung stand da mal Groß Iser/Izerska Hala und in dessen einzig erhalten gebliebener alten Schule ist heute eine polnische Wanderhütte und das ist der schönste Ort überhaupt.
Auch überall solche Bächlein, zum aus ihnen trinken und ihr Wasser mit sich nehmen. Und daneben noch diese Brücke, unter der ein Troll wohnt, mit dem ich mich etwas über den betrüblichen Niedergang seines Berufsbildes in Zeiten der Sozialen Netzwerke unterhielt.
Nachmittags öffnet sich der Blick vom stillen Isergebirge hinüber zum Riesengebirge, das ja eher ein Angeber ist. Dazwischen im Tal Szklarska Poręba, eine raumgreifende Kakophonie aus Sommerfrischearchitektur der letzten 200 Jahre mit einem Ausspracheproblem.
Darüber musste ich länger nachdenken.
Ein Vorteile davon, auf Twitter im Vorfeld seine Urlaubspläne bekannt zu geben, ist, dass man dann spontan Einladungen von an der Wegstrecke urlaubernden Followerinnen erhält. Danke an @hungerherz und ihre Familie für die Aufnahme und den Schlafplatz mit Blick!!
Tag 3
Tag 3 beginnt zur Abwechslung mal wieder mit einer Zugfahrt. Von Szklarska Poręba ging es an den Gebirgsfuß hinab nach Sobieszów.
Klar bin ich hier dann hoch zur Burgruine Kynast gestiegen. Schon, um mir mal die heutige Wegstrecke durchs Riesengebirgsvorland von oben anzuschauen. Da hinten, das ist der Landeshuter Kamm, in dessen Schatten Kowary liegt, das Tagesziel.
An dieser Stelle ist es Zeit, die lebensrettenste Institution solch eines Unterfangens in den polnischen Sudeten zu würdigen: Den sklep. Hier mal stellvertretend der von Podgórzyn. Über die da erworbene und fast ganz verzehrte Wurst möchte ich nicht sprechen.
"Mir doch egal ob diese Wixer mit ihrem verfluchten EU-Geld hier einen Bürgersteig durchs Dorf ziehen, Gott der Herr möge sie alle strafen!" Podgórzyn.
"Goar keenor will meine guten jabki nie hobn!" Auf Polnisch, in tiefer Entrüstung, vor ihrem Haus in Podgórzyn, hockend über zwei Augustäpfeleimern. Ich erbot mich, vier zu nehmen. Sie gab mir kompromisslos vierzig.
Ich habe das zusätzliche Gewicht dann pflichtschuldig noch bis auf den nächsten Hügel im Wald überm Ort gebuckelt und den Beutel dann da nicht ohne Gewissensbisse als Opfer an die Waldgötter unter dem Wegkreuzbaum liegen lassen.
Das Hirschberger Tal war ja im 19. Jahrhundert die Sommerresidenz des hier in exorbitanten Fincas urlaubernden preußischen Hofes und dessen Dunstkreis. Da will man heute nicht hinten anstehen.
Zum Beispiel Miłków.
I´ll never forget him, the leader of the pack.
Toll finde ich, wie das sozialistische Polen in den Gebirgsausblick vom "Schlesischen Elysium" aus diese Esse geflantscht hat. So etwas leisten auf diesem Niveau sonst nur tschechische Plattenbausiedlungen der gleichen Epoche. Respekt.
Der Weg senkt sich hinab nach Kowary und zum Landeshuter Kamm.
Und er gibt auch noch ein bisschen Kunsterlebnis dazu.
Von der Beschissenheit der Dinge in Kowary.
Eine These am Ende des dritten Tages: Im Hirschberger Tal richten alle Villentürme sich nach der Schneekoppe aus.
Leider war diesseits des Landeshuter Kamms keine Übernachtung aufzutreiben. Also im letzten Licht hinüber nach Czarnów. Wo es einen Ausblick auf die Berge des nächsten Tages gab. Der Ort erwies sich als videoüberwachte Krishna-Siedlung, Swastika-Stein im sanften Wiesental incl. Zeit für die Isomatte. Draußen. Hinterm Ortsausgangsschild von Czarnów.
Tag 4
Die Draußennacht im Schlafsack am Ortseingang von Paczkowice war schön. Allerdings wurde ich im Morgengrauen von einem Rehbock aus dem nahen Unterholz wüst angepöbelt. Dank an die freundliche Lärche, die mich in der Nacht beschirmt hat.
Zum Beispiel Pisarzowice.
Da hinten, das ist das Liebauer Tor, einer der ganz wenigen fast ebenen Übergänge von Schlesien nach Böhmen. Was über die Jahrhunderte hinweg immer wieder auch diverses Kriegsvolk anzog.
Unten am Bobr in Janiszów dann der Moment, wo man einfach bleiben möchte. Dem Flüsschen beim Plätschern zuschauen. Hinten im sklep immer wieder ein Radler holen. Wenn Sommer, Geld und sklep alle sind, sich in die Wellen legen und in die Ebene forttragen lassen.
Von Lubawka selbst bleibt mir wohl nur die Erinnerung an die Kellnerin des "Lubavia" am Rynek, die mich wortlos der Tür verwies, weil ich ihr vermutlich zu sehr nach Straßenstaub und Dusche-Vorgestern roch. Geh ich halt.
Ich ließ dann das Liebauer Tor Tor sein und schlug mich links über das kleine Rabengebirge ins Paralleltal hinüber, wo das Kloster Grüssau liegt. Und da im Rabengebirge, da habe ich die besten Heidelbeeren meines bisherigen Lebens gegessen. Danke, liebes Rabengebirge!
In diesen schlesischen Sudetenstädtchen, da lungert immer einer am Rynek herum, der Fremde anquatscht und so tut, als wäre er ortskundig. Man unterhält sich mit ihm in dem westlawischen Kreolisch, das man halt kann, fragt nach einem gospoda. Und er bringt einen zur Apotheke.
Wird wirklich Zeit, wieder rüber nach Böhmen zu machen! Klar geht es noch mal über eine Hügelkette. Diesmal unter Begrüßung durch den Tschechoslowakischen Wall. Auch so eine Sudetengeschichte.
Dieser führt hinab ins herzallerliebste Adršpach, das alles verkörpert, was das tschechische Urlauberherz begehrt. Deswegen ist Adršpach vollkommen ausgebucht und man kann vergessen, hier einfach so ein Zimmer zu bekommen. Aber es gibt NATÜRLICH EINEN BAHNHOF!
Hui, flott geht die Reise unter zweimaligem Umsteigen hinüber nach Broumov ins Braunauer Ländchen, über das bei der Ankunft schon der Abend herabgefallen ist. Und hier gibt es wider Erwarten ein kleines Übernachtungswunder. Dobru nóc!
Tag 5
Liebes Hotel "Veba" in Broumov! Stinkend und verschwitzt hast Du mich kurz vor Zehn des Nachts noch aufgenommen. Ich durfte in einer Deiner Wannen liegen. In Deinem Bettchen schlafen. Und morgens von Deinem reichgedeckten Tellerchen esse. Ewig der Deine. Wirklich.
Neuer Morgen, neue Talschaft, neue Gebirge. Rechts, das ist das Falkengebirge, da geht es hinauf und darauf entlang zum Heuscheuergebirge, das schon wieder im Schlesischen liegt. Und dahinter ist der Glatzer Kessel und die andere Neiße. Letzte Etappe!
Wie man die Dinge in Křinice im Braunauer Ländchen sieht: "Den Opfern des Bösen 1948-1989".
Na shledanou, Broumov!
"Und in dem Falkengebirge, da fließt ein Brünnlein kalt ...". Ernsthaft, das hier war das beste Wasser auf der ganzen Wanderung. Danke, liebes Falkengebirge!
Und oben drauf gibt es einen natürlichen Ausguck, wie es nur einen geben kann! Und ein Bild von der Aussicht da gibt es hier nicht. Geht gefälligst selber nachsehen.
Wo Falkengebirge und Heuscheuergebirge ineinander übergehen, halten die Grenzsteine im Wald eine Beratung ab.
Ganz da hinten im Dunst, das wäre übrigens das tatsächliche "Schneegebirge" aus dem bekannten Gassenhauer von H. von Fallersleben. Aber soweit müssen wir diesmal nicht.
Woran man erkennt, dass man wieder auf der polnischen Seite ist? Karol Wojtyla steht am Waldrand rum und unterhält sich mit einer Wiese.
Weil es ungerecht wäre, das Falkengebirge für seinen Sandstein abzufeiern und das Heuscheuergebirge nicht, hier die Błedne Skały/Wilden Löcher.
Ganz am Schluss auf den #Sudetenwegen, oberhalb von Kudowa-Zdrój, hat mich das Gewitter, das mir schon seit vorgestern von Westen her nachfolgte, dann erreicht. Hallo, lieber Regen!
Erkenntnis in Kudowa-Zdrój (ob die Einheimischen manchmal im Zorn Kurwa-Zdrój sagen?): Tomáš Kočko ist sich, seit ich ihn zum letzten Mal 2003 in Brno und Ostrava sah, komplett treu geblieben. Schön für ihn.
Leider gab es von Kurwa-Zdrój nur einen Busersatz für den Zug. Und in Kłodzko musste ich meinem Schwur untreu werden. Es war dunkel, ich war müde, kein Hotel in Sicht, der Bahnhof sudetentypisch 3km vor der Stadt. Und so ließ ich mir ein Taxi rufen. Der Fahrer wusste nix von irgendwelchen Hotels im "verfickten Glatz", fragte mich immerzu, wieso ich denn nicht um Himmelswillen in den "verfickten" tschechischen Bergen geblieben sei. Sachsen-Anhalt-Gefühle. Ich ließ mich von ihm am Stadtrand am völlig ausgebuchten Sportlerheim rauswerfen und zückte die Isomatte.
Tag 6
Die Draußennacht im Schlafsack in der Neißeaue in Kłodzko war schön. Allerdings wurde ich im Morgengrauen von einem Rehbock aus dem nahen Unterholz wüst angepöbelt. Dank an die freundliche Erle, die mich in der Nacht beschirmt hat.
Besagte Neiße. Witaj!
In Kłodzko selbst blickt dann die preußische Festungsarchitektur finster in die Straßenzüge hinab, wie das Festungsarchitektur in Festungsstädten eben so macht.
Nun ja, und die polnische Geschichtsdoktrin der späten 1960er war halt teilweise auch blöde.
Also einfach in den Zug gesetzt und immer schön mit Blick aufs Gebirge aus dem linken Zugfenster heraus die Heimreise angetreten. Und unterwegs noch Gedanken in die Kladde geschrieben.
In Jelenia Góra war noch etwas Zeit für einen kurzen Stadtbummel. An einer Plastik des Bullen der Europa ließ dort ein Testosteron-Testikel seinen schmalen, vielleicht zehnjährigen Sohn fürs Familienfoto hitlern und feixte dabei. Auch ansonsten ist die Krankheit angekommen.
Ich möchte hier nicht schließen, ohne hervorgehoben zu haben, dass es in diesem sklep neben dem Bahnhof von Jelenia Góra ganz hervorragende Hot Dogs gibt!
Plötzlich ist man fast wieder daheim und sieht aus dem Zugfenster einmal mehr, wie klein und milde doch die Lausitz mit ihrem "Bergland" so ist.
Machts gut, liebe Leute. Danke fürs Mitlesen. Nehmt Euch ab und an mal einen Zug und fahrt für ein paar Tage los. Ist unglaublich erfüllend. K strowosći!