Liquidator
„Für das nächste Mal, dass ich Sie töte“, antwortete Scharlach, „verspreche ich Ihnen das Labyrinth, das aus einer einzigen geraden Linie besteht, und das unsichtbar, unaufhörlich ist.“ Er trat einige Schritte zurück. Dann, sehr sorgfältig, feuerte er.
Jorge Luis Borges, Der Tod und der Kompass

Ariadne, Ariadne, lass Deinen Faden herunter!
Das FPS wie wir es kennen wird dieses Jahr zwanzig. Klar, es gab Vorläufer in den 1980ern. Aber der Beginn im eigentlichen Sinn war 1991/92. The Catacomb. Die weiterentwickelte Version The Catacomb: Abyss habe ich damals tatsächlich gespielt. Erinnerungen habe ich eigentlich nur noch an die roten Dämonen und an meine Feuerbälle, die der Levelarchitektur zusetzten. Stimmt nicht – jetzt fallen mir noch Sumpflevel ein, in denen Bläschen näher
rückende Kreaturen ankündigten. Das Ursprungsteam von Catacomb werkelte während ich das spielte bereits am ersten Meilenstein des Genres: Wolfenstein 3D. Und ein Jahr später kam von den Jungs dann Doom. So war das damals. Kurt Cobain und der Space Marine.
Kurt ist lange tot. Beim FPS hingegen fällt die Diagnose schwerer. Es hat sich in vielen Aspekten so sehr zu damals verändert, dass man mitunter nur noch schwer die alten Wurzeln erkennen kann. Einige dieser Wurzeln wurden schließlich sogar gänzlich durchtrennt. Über eine von ihnen soll hier etwas gesprochen werden.
Ich meine die viel zu oft vergessene Tatsache, dass Shooter in den Jahren bis 1998 neben fröhlich-schnellen Fragfesten vor allem eins waren: sie waren Labyrinthe. Sie forderten nicht nur unser Reaktionsvermögen heraus. Sie testeten vielmehr auch unseren Orientierungssinn.
Wolfenstein 3D war ein vertracktes, streng rechteckig angelegtes Labyrinth voll mit Pixelnazis. Die Herausforderung lag nicht einfach darin, die alle auf dem Weg zum finalen Hitler-Mech aus dem Weg zu räumen. Mindestens genau so schwierig gestaltete sich die Aufgabe, sich dabei nicht hoffnungslos in den nicht gerade variantenreich gestalteten Levelfluren zu verfransen.
Ist mir natürlich nicht passiert. Bis heute habe ich mich im Leben draußen in der Welt kaum je irgendwo mal verlaufen. Wolfenstein 3D sei Dank. Auf meinem letzten Durchlauf des Spiels 1999 in meiner frisch bezogenen Berliner Studentenbude habe ich mich irgendwann im Winter mal hingesetzt und von jedem Level dieses Genreurvaters auf kariertem Papier eine Karte gemalt. Maßstabsgetreu. Das ging bei Wolfenstein 3D sehr gut, denn jede Wand stand im Winkel von 90 Grad zur anderen, und jedes Wandsegment hatte die gleiche Abmessungen. Auf die Art habe ich jeden Geheimraum des Spiels gefunden. Auch das versteckte Packman-Level. Von oben sahen diese Levelkarten dann gerne mal wie viktorianische Heckenlabyrinthe aus.
Die Mutter dieser wunderbar zeitraubenden Idee war natürlich Doom. Oh die Freude die ich empfand, beim Drücken der Tabulator-Taste die permanent mit meinen Streifzügen in der UCI-Basis anwachsende Levelmap zu studieren, die id hier bereits implementiert hatte. Und am Ende auf ihr nach Freistellen zu suchen, die auf geheime Passagen hindeuteten. Ich denke, ich könnte heute noch einige dieser Karten aus dem Gedächtnis rekonstruieren. Doom I + II, Heretic, Duke Nukem 3D, Blood, Unreal, Quake – wie ich es genossen habe, nach den Keycards zu suchen, nach Schaltern und geheimen Durchgängen. Wenn ich drüber nachdenke, hat das wahrscheinlich 50 Prozent meines Spielspasses bei diesen Titeln ausgemacht.
Dann kam 1998. Half life. Und plötzlich wollten alle in ihren Ballerspielen Scriptereignisse und eine Geschichte mit Wendungen. Dafür braucht man aber einen Levelschlauch. Sonst rennt der Spieler nämlich einfach an dem schönen, teuren Script vorbei. Deswegen sehen Mainstreamshooter heute aus wie Michael Bays REM-Phase. Mit einem Labyrinth geht so etwas nicht. Lasst uns zum zwanzigsten Geburtstag einen Kranz beim Grabmal für die blaue, die rote und die gelbe Keycard niederlegen. The times, they are a changing. Man kann sich in Shootern nicht mehr verlaufen. So ist das eben. Dafür erschreckt man sich beim Umdrehen an der Leiter in F.E.A.R. Ist doch auch schön.
Schnitt zum zurückliegenden September. Und ich stehe dumm vor einem verrammelten Gitter in einem FPS in einer Sackgasse. Ich muss da durch. Ich weiß nicht wie. Nach zwanzig Jahren finde ich meinen Meister. Er kommt aus Osteuropa. Woher sonst.

Vom Verlieren und Wiederfinden des Fadens
Verzweiflung in Videospielen hat viele Gesichter. Thief 1 auf Experte. Die Alte Stadt. Ich suche seit Stunden in jedem Winkel der Map nach dem letzten fehlenden Silberkelch, um das Minimum beim Loot zu erreichen. Das Gestöhne der Untoten macht mich von Minute zu Minute bösartiger. Hitman 1. Mit schweißnassen Händen steuere ich den bereits ordentlich angeschossenen 47 in Richtung des Hangars, um von der Drogenplantage im kolumbischen Dschungel zu fliehen. Einen habe ich übersehen. Ende. Nach vierzig Minuten starte ich das
Level neu. Zum xten Mal. Ich spüre, wie in mir der Hass aufsteigt. Monkey Island 2. Der Wettbewerb im Weitspucken. Ich kriege es nicht hin. Die Welt ist scheiße. TIE Fighter. Die Schilde meines TIE Advanced sind komplett heruntergefahren. Alle Energie in den Traktorstrahl! Und wieder habe ich den richtigen Moment verpasst. Dem flüchtenden corellianischen Frachter gelingt der Hypersprung. Dieses Zeitfenster erwische ich nie. Psychonauts. Der Fleischzirkus. Zum gefühlten tausendsten Mal läuft der kleine Freak Hasilein
hinterher. Und ich verkacke den letzten Sprung. Gleich kommt wieder die unskipbare Cutscene. Tim Schaefer, ich lasse Dich meine Tastatur fressen, Buchstaben für Buchstaben in einer dunklen Nebenstraße wo keiner Deine Schreie hört.
Es gibt wenige Dinge für einen Spieler, die befriedigender sind als das Gefühl, wenn man es dann wider Erwarten doch noch geschafft hat. Man wird diese Spiele immer in respektvoller Erinnerung behalten. Denn man weiß, dass auch Zufall dabei war. Glück. Es ist wie die Besteigung eines hohen Berggipfels. Man war oben. Und schon beim Abstieg weiß man, dass es nicht nur das eigene Können war. Sondern dass der Berg mal nett sein wollte. Wie es aussieht, sind gegenwärtig die Souls-Spiele diesem Prinzip verpflichtet.
In Zeiten der Lets Play – Videos auf Youtube, der Trainer und der stets zur Verfügung stehenden Walkthrougs sind solche Momente selten geworden. Die Lösung ist immer nur einen Klick entfernt. Im Adventure hat man den Kampf aufgegeben und die Spielhilfe gleich ins Design integriert. Und sich aufs Erzählen putziger Geschichten verlegt. Ist inzwischen mehr wie Trickfilm gucken. Und mal ehrlich: diese Schieberätsel, an denen man nach der Schule ganze Nachmittage lang fest hing, sind uns doch eigentlich immer mehrheitlich auf die Nerven gegangen. Damals musste man wenn alle Stricke rissen den einen Typen aus der Klasse anrufen, der die zusammenkopierte Komplettlösung hatte. Entwürdigend. Heute wirft man Google an. Hat doch was für sich.
Tja. Pech gehabt. Denn zu diesem Titel hier gibt es im ganzen weiten Internet so gut wie keine Reviews. Es gibt kein aussagefähiges Lets Play. Es gibt keinen Walkthrough. Kein Fan- oder Entwicklerforum. Keine Savegames zum Runterladen. Und es gibt keinen Noclipping-Cheat. Niemand kann mir hier helfen. Ich stehe vor diesem miesen Gitter in der Sumpfwelt herum, habe zwei Schlüssel im Inventar und kann durch die Gitterstäbe hindurch sehen, wo ich sie einsetzen muss. Aber ich komme nicht ran. In meiner Verzweiflung poste ich einen Hilferuf ins Forum von yiya, wo einige Osteuropa-Shooter-Spieler hin und wieder mal abhängen. Achselzucken allerseits. "Nee, haben wir auch nicht gespielt. Glück auf den Weg." Ich bin der einzige Mensch der Welt, der Liquidator spielt. Ich bin verzweifelt. Selbst wenn das hier ein Bug sein sollte – es gibt niemanden, der mir das bestätigen könnte. Ich klappere die Map ab, wieder und wieder und wieder. Aus Stunden der Wut werden Nächte des ohnmächtigen Zorns. Überall schaue ich nach. Ich lade die komplette Welt neu, spiele mich noch mal durch. Und ende wieder vor dem Gitter. Ich bin ein Versager.
Ich lasse es bleiben. Ich brauche Abstand. Zwei Wochen Griechenland. Bei Preveza über der Ebene des Acheron, dem Totenfluss der griechischen Antike, besuche ich das auf einem Hügel ausgegrabene Totenorakel Nekromanteion. Die Pilger wurden hier mehrere Tage lang in einem fensterlosen Raum mit einer speziellen Diät malträtiert. In einem fensterlosen Labyrinth raubte man ihnen den Orientierungssinn. Und wenn sie dann körperlich und nervlich ausgelaugt in den Thronsaal von Persephone und Hades hinabkletterten, dann spielten ihnen die Priester mit einer Apparatur die Schatten der Toten vor. Ich verstehe. Du hast Dich reinziehen lassen. Du bist emotional geworden. Denk dran, wie Du früher aus solchen Sackgassen raus gekommen bist. Lass los. Verkrampf nicht. Schau genau hin.
Am letzten Wochenende bin ich hinter das Gitter gekommen. Ich habe das Labyrinth gelöst. Liquidator ist Geschichte. Der Bug saß mal wieder vor dem Bildschirm. Ich hatte seit Jahren in diesem Hobby kein vergleichbares Triumphgefühl mehr.
Verzweiflung in Videospielen hat viele Gesichter. Thief 1 auf Experte. Die Alte Stadt. Ich suche seit Stunden in jedem Winkel der Map nach dem letzten fehlenden Silberkelch, um das Minimum beim Loot zu erreichen. Das Gestöhne der Untoten macht mich von Minute zu Minute bösartiger. Hitman 1. Mit schweißnassen Händen steuere ich den bereits ordentlich angeschossenen 47 in Richtung des Hangars, um von der Drogenplantage im kolumbischen Dschungel zu fliehen. Einen habe ich übersehen. Ende. Nach vierzig Minuten starte ich das
Level neu. Zum xten Mal. Ich spüre, wie in mir der Hass aufsteigt. Monkey Island 2. Der Wettbewerb im Weitspucken. Ich kriege es nicht hin. Die Welt ist scheiße. TIE Fighter. Die Schilde meines TIE Advanced sind komplett heruntergefahren. Alle Energie in den Traktorstrahl! Und wieder habe ich den richtigen Moment verpasst. Dem flüchtenden corellianischen Frachter gelingt der Hypersprung. Dieses Zeitfenster erwische ich nie. Psychonauts. Der Fleischzirkus. Zum gefühlten tausendsten Mal läuft der kleine Freak Hasilein
hinterher. Und ich verkacke den letzten Sprung. Gleich kommt wieder die unskipbare Cutscene. Tim Schaefer, ich lasse Dich meine Tastatur fressen, Buchstaben für Buchstaben in einer dunklen Nebenstraße wo keiner Deine Schreie hört.
Es gibt wenige Dinge für einen Spieler, die befriedigender sind als das Gefühl, wenn man es dann wider Erwarten doch noch geschafft hat. Man wird diese Spiele immer in respektvoller Erinnerung behalten. Denn man weiß, dass auch Zufall dabei war. Glück. Es ist wie die Besteigung eines hohen Berggipfels. Man war oben. Und schon beim Abstieg weiß man, dass es nicht nur das eigene Können war. Sondern dass der Berg mal nett sein wollte. Wie es aussieht, sind gegenwärtig die Souls-Spiele diesem Prinzip verpflichtet.
In Zeiten der Lets Play – Videos auf Youtube, der Trainer und der stets zur Verfügung stehenden Walkthrougs sind solche Momente selten geworden. Die Lösung ist immer nur einen Klick entfernt. Im Adventure hat man den Kampf aufgegeben und die Spielhilfe gleich ins Design integriert. Und sich aufs Erzählen putziger Geschichten verlegt. Ist inzwischen mehr wie Trickfilm gucken. Und mal ehrlich: diese Schieberätsel, an denen man nach der Schule ganze Nachmittage lang fest hing, sind uns doch eigentlich immer mehrheitlich auf die Nerven gegangen. Damals musste man wenn alle Stricke rissen den einen Typen aus der Klasse anrufen, der die zusammenkopierte Komplettlösung hatte. Entwürdigend. Heute wirft man Google an. Hat doch was für sich.
Tja. Pech gehabt. Denn zu diesem Titel hier gibt es im ganzen weiten Internet so gut wie keine Reviews. Es gibt kein aussagefähiges Lets Play. Es gibt keinen Walkthrough. Kein Fan- oder Entwicklerforum. Keine Savegames zum Runterladen. Und es gibt keinen Noclipping-Cheat. Niemand kann mir hier helfen. Ich stehe vor diesem miesen Gitter in der Sumpfwelt herum, habe zwei Schlüssel im Inventar und kann durch die Gitterstäbe hindurch sehen, wo ich sie einsetzen muss. Aber ich komme nicht ran. In meiner Verzweiflung poste ich einen Hilferuf ins Forum von yiya, wo einige Osteuropa-Shooter-Spieler hin und wieder mal abhängen. Achselzucken allerseits. "Nee, haben wir auch nicht gespielt. Glück auf den Weg." Ich bin der einzige Mensch der Welt, der Liquidator spielt. Ich bin verzweifelt. Selbst wenn das hier ein Bug sein sollte – es gibt niemanden, der mir das bestätigen könnte. Ich klappere die Map ab, wieder und wieder und wieder. Aus Stunden der Wut werden Nächte des ohnmächtigen Zorns. Überall schaue ich nach. Ich lade die komplette Welt neu, spiele mich noch mal durch. Und ende wieder vor dem Gitter. Ich bin ein Versager.
Ich lasse es bleiben. Ich brauche Abstand. Zwei Wochen Griechenland. Bei Preveza über der Ebene des Acheron, dem Totenfluss der griechischen Antike, besuche ich das auf einem Hügel ausgegrabene Totenorakel Nekromanteion. Die Pilger wurden hier mehrere Tage lang in einem fensterlosen Raum mit einer speziellen Diät malträtiert. In einem fensterlosen Labyrinth raubte man ihnen den Orientierungssinn. Und wenn sie dann körperlich und nervlich ausgelaugt in den Thronsaal von Persephone und Hades hinabkletterten, dann spielten ihnen die Priester mit einer Apparatur die Schatten der Toten vor. Ich verstehe. Du hast Dich reinziehen lassen. Du bist emotional geworden. Denk dran, wie Du früher aus solchen Sackgassen raus gekommen bist. Lass los. Verkrampf nicht. Schau genau hin.
Am letzten Wochenende bin ich hinter das Gitter gekommen. Ich habe das Labyrinth gelöst. Liquidator ist Geschichte. Der Bug saß mal wieder vor dem Bildschirm. Ich hatte seit Jahren in diesem Hobby kein vergleichbares Triumphgefühl mehr.

Pogo im Labyrinth
Nach allem was hier bisher gesagt wurde, bleibt beim Leser vermutlich noch immer ein großes Fragezeichen stehen. Triumphgefühl hin und her, hoch lebe das Labyrinth im FPS schön und gut – aber was taugt Liquidator denn sonst so? Diese mehr als berechtigte Frage ist gar nicht so leicht zu beantworten. Liquidator ist vielleicht das Merkwürdigste und
Verquerste, was man sich für wirklich kleines Geld im FPS-Segment auf dem Gebrauchtmarkt so erstehen kann. Dieses Spiel verweigert sich beinahe jedem mir bekannten etablierten Genremaßstab. Es ist krude. Es ist einzigartig. Aber das muss nicht automatisch heißen, dass es auch gut ist.
Das beginnt schon mit der Vorgeschichte des Titels. Denn die gibt es. Liquidator heißt nämlich eigentlich Liquidator 2. Das ursprüngliche Liquidator stammt aus dem Jahr 1997. Über diesen Titel ist so gut wie nichts herauszubekommen. Meine einzigen Infos stammen aus den Youtubekommentaren zu zwei kurzen Gameplayvideos aus der großartigen „Obscure First Person Shooters“ Serie von MarphitimusBlackimus. Diesen Kommentaren zufolge war Liquidator ein 1997 von zwei russischen Codern in Eigenregie zusammengebastelter stark
verfremdeter Duke Nukem 3D – Mod, der in Russland tatsächlich als Verkaufsexemplar in den Läden stand. Und zwar ohne 3D Realms Okay.
2006 veröffentlicht das Moskauer Parallax Arts Studio dann sein Remake dieses russischen Shooterurgesteins. Denn das ist Liquidator 2, wie wir es von nun an korrekterweise nennen wollen. Und zwar zum Teil in erstaunlicher Konsequenz und Werktreue, die einigen Respekt für das Original verströmt. Was id 2004 mit Doom 3 nicht getan hat, die Moskauer tun es: sie
bauen die Vorlage mehrere Grafikkartengenerationen später mit den aktuellen technischen Möglichkeiten eins zu eins nach. Objektphysik, Shader, Bloom usw. – und die identischen Maps sowie Gegnertypen von damals. Der Effekt ist ziemlich verblüffend. Liquidator 2 fühlt sich an, als würden Doom oder Duke Nukem 3D in der Grafikengine von sagen wir einem leicht aufgebohrten Painkiller reinkarnieren. Ein Labyrinthshooter der ersten Hälfte der 1990er kommt in 2006er Verkleidung auf die Party. Und die Bouncer lassen Opa tatsächlich rein. Jetzt grabbelt er die jungen Dinger an, säuft und frisst sich durchs Buffet und randaliert auf der Tanzfläche rum. Schöne Bescherung.
Aber selbst unter seinesgleichen würde Liquidator 2 auffallen wie ein bunter Hund. Das Spiel besteht aus ganzen drei Welten. Ruinenstadt, Sumpf, Hölle. Jede dieser Welten besteht wiederum aus einer einzigen, großen Map, die quasi organisch mit unseren Streifzügen mit wächst. Diese Welt ist ein weitschweifiges Labyrinth, in dem wir den Ausgang finden müssen. Den Weg dahin versperren uns Schlösser, die mit Runen in insgesamt vier Farben geöffnet werden müssen. Diese Runen gilt es zu finden. Ohne Kartenfunktion. Einzig eine Kompassnadel zeigt mit einem dunkler werdenden Gelbton an, dass wir uns in der Nähe einer solchen Rune befinden. Was nicht heißt, dass wir auch an sie ran kommen. Denn dazwischen kann immer noch ein Gitter sein. Also schön die Augen offen halten und nicht die Orientierung verlieren. Es geht durch fallengespickte Katakomben, geflutete Kanäle, über
arenenartige Innenhöfe, Lavafelder usw. usw. Hat man eine der drei Welten einmal geknackt und ihren Aufbau verstanden, ist sie im zweiten Anlauf in einer knappen Stunde absolviert. Dann schrumpft Liquidator 2 auf maximal vier Stunden Gesamtspielzeit zusammen. Bis dahin ist es aber im Erstdurchlauf ein weiter Weg. Hinterher ist man eben immer schlauer.
Optisch macht das Ganze einiges her. Das fängt schon beim sehr schön gestalteten Menü an. In den drei Welten begegnen uns dann schöne Wassereffekte und sehr eindrucksvoll und glaubhaft glühende Lava. Überhaupt sind die Farben im Spiel angenehm satt und bei all dem sonst vorherrschenden Brauntönen dieser Generation fast schon eine Augenweide. Auch die Lichteffekte wissen immer wieder zu gefallen. Einzig mit dem Bloom haben sie hier und da
etwas übertrieben. Trotzdem – visuell ist Liquidator 2 im B-Segment eher ein Hingucker. In diesem Labyrinth sucht man gerne nach dem Ausgang.
Leider muss man in Liquidator 2 aber auch ballern. Der Vorgang an sich ist auch gar nicht schlimm. Das Standartwaffenarsenal verrichtet standartgemäß seinen Dienst. Besonders ist der Fakt, dass man von Anfang an über alle sechs Waffen verfügt. Munition wird in im Level versteckten „Agentur“-Räumen nachgefüllt, nach denen man wie nach den Runen auf die Suche gehen muss. Ist mal was anderes.
Problematisch wird die Sache, wenn wir auf die KI zu sprechen kommen. Dass sie dumm wie Stroh ist, kritisiere ich gar nicht. Wie gesagt, dass hier ist eine Reinkarnation der frühen 90er. Immerhin gibt es eine gewisse Varianz, jede Welt hat ein paar exklusive Gegnertypen spendiert bekommen und einige davon wie der sich immer weiter aufteilende und dabei kleiner werdende Oger fand ich ganz lustig. Mein Problem mit der KI von Liquidator 2 ist, dass sie in diesem gut entworfenen Labyrinth ungefähr so verloren herumsteht wie ich vor dem Tor im Sumpflevel. Mitunter begegnet man minutenlang keiner Menschen-oder sonstigen Seele. Es gibt schön entworfene Arenen. Nur leider finden in ihnen keine Kämpfe statt. Manchmal fühlt sich Liquidator 2 an, als ob bis auf den Spieler alle anderen auf Urlaub sind. Und findet man dann doch mal jemanden zum drauf schießen greift die zweite Merkwürdigkeit des Spiels: Respawn in wenigen Sekunden. Irgendwas ist hier mit den Triggern daneben gegangen. Die Jungs tauchen einfach permanent an den identischen Stellen wieder auf. Auf meinen ausgiebigen Streifzügen bei der Suche nach den Runen habe ich sie ab einem bestimmten Punkt versucht, weitestgehend zu ignorieren. Das geht ganz gut, denn mehr als zwei Räume weiter verfolgen sie einen eh nicht. Außerdem ist ihr Angriffsschaden so gering, dass man sich sowieso eine gefühlte Ewigkeit ohne Gegenwehr hinstellen muss, damit sie einen umpusten können. Wir haben uns nach einer Weile darauf geeinigt, dass ich in Ruhe den Ausgang suche und sie mir nicht weiter auf die Nerven gehen. Und manchmal habe ich einen von ihnen umgeschossen, damit sie der Gedanke daran, dass sie die wohl harmloseste KI der Shootergeschichte sind nicht zu sehr deprimiert und sie den Kollegen aus den anderen Titeln einmal im Jahr zur Weihnachtsfeier zumindest mit einem kleinen Rest von Selbstachtung in die Augen blicken können.
Ach ja – die „Story“ ist natürlich angemessen bekloppt.
Was bleibt? Die Erinnerung an ein bemerkenswertes Spiel. Das hier ist etwas Besonderes jenseits solch banaler Zuschreibungen wie „gut“, „schlecht“oder „katastrophal“. Liquidator 2 ist Punk. Es ist eine Perle meiner FPS-Sammlung. Ich freue mich über dieses Spiel. Denn es ist individuell in aller Konsequenz. Keine Ahnung, ob ich dazu raten soll, es zu erwerben. Aber vielleicht reizt ja den einen oder die andere die Vorstellung, den Ausgang gleich auf Anhieb zu finden. Und mir dass dann noch ewig unter die Nase reiben zu können.
I dare you. I double dare all of you!
