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Lessing und Sarrazin

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Klar bin ich wütend. Ich sehe die Bilder vom angezündeten "Husarenhof" in Bautzen. Und bin wütend. Ihr habt die Lausitz nicht verdient, denke ich. Ich rufe mir meine liebsten Lausitzer Toleranz-Texte ins Gedächtnis – Lessing, Lorenc, Wüsten, Drescher, Schmidt. Der Licht durchflutete und Bach durchrauschte, grüne, hügelige Garten "Łužitz", wie ich ihn für mich gern nenne. Die mindestens zwei Sprachen, friedlich Tür an Tür. Für jeden Fleck auf der Landkarte und jedes Ding in der Welt zwei Namen – und alle freuen sich daran. Eine Fantasie, immer schon. Aber auch eine Idee und ein Reservoir von dem man zehrt, das man mit hinaus nimmt auf die Ausfahrten in die Welt, so lang sie auch andauern mögen.

Bei mir dauert sie bereits achtzehn Jahre, Ende womöglich absehbar. Die Probleme fangen nun damit an, dass wohl zu viele von uns ausgefahren sind. Weil sie mussten, weil sie wollten. Manchmal beides. Ich sehe es ja, wenn ich da bin. Fast 40 – und immer noch ist man bei zu vielen Anlässen hier einer der jüngsten im Raum. Das macht etwas mit einer Gegend, wenn es zwei Jahrzehnte lang anhält. Und mit denen, die da bleiben. 

Ich weiß, dass es hier für viele schwer ist. Zu viele verlängerte Werkbänke mit mageren Löhnen. Zu viele verwaiste Marktplätze, verrammelte Bahnhöfe, aufgegebene Gasthöfe, verklungene Kinos, verstummte Schulen. Weites Pendeln, für manche hunderte Kilometer pro Woche, jahrelang. Lange Nächte auf der Autobahn für ein kurzes Wochenende im alten Haus mit dem Garten und dem Apfelbaum und der Familie. Ich kenne die Viertel in Bautzen und Görlitz, wo die Verschuldeten wohnen. Kik-Jeans. Bis zur Verzweiflung bunte Frisuren. Fleischtunnel. Amt. Hasseröder. Hass auch. Auf den Dörfern sieht man es nicht so. Aber die Hauspreise fallen, die Rente ist oft knapp und die EU will plötzlich eine vierte Reinigungsstufe für die Kläranlage. Übers Feld das Rauschen der Umgehungsstraße. Einmal die Woche kommt der Bäckereiwagen.
 
Mir fallen Begebenheiten der letzten Jahre ein. Der demonstrativ enthauptete und für alle sichtbar hingelegte, illegal abgeschossene Wolf. Der gesprengte Briefkasten der Anti-Tagebau-Initiative. "Sorben raus", geschmiert auf den Pfeiler einer Brücke bei Bautzen, über die am nächsten Tag die Osterreiter ziehen. "Todesstrafe für Kinderschänder" in Fraktur quer über die Heckscheibe. Lokalderby 2016 zwischen Budissa Bautzen und dem FCO Neugersdorf in der 4. Liga. Neugersdorf hat einen Brasilianer im Team. Hinter mir im Block will eine Gruppe Jungs immer wieder alle zu Affengeräuschen animieren, wenn er am Ball ist. Irgendwann drehe ich mich wütend um und schnauze sie an. Sie sind maximal fünfzehn. Zweimal 2014 das Portemonnaie im Linienbus über die Dörfer liegen gelassen, mit Geld und allen Papieren. Zweimal gab es niemand beim Fahrer ab.
 
Gibt es einen Zusammenhang? Ich weiß es nicht. Entschuldigen würde es nichts. Natürlich sind da auch die guten Geschichten. Aber sie sollen hier diesmal nicht genannt werden. Weil sie immer gern als Relativierung dienen. Es gibt aber nichts zu relativieren. Die Wahrheit ist – die Lausitz ist nicht nur Lessing. Sie ist auch und derzeit vor allem Sarrazin. Und womöglich war es so schon immer. Nur das wir eben das Glück ein paar besonders schöner Texte, Bilder und Fotos haben. Weil hier immer wieder Leute ein Potenzial spürten und die Fantasie beflügelt bekamen. Und das ist vielleicht etwas, um das es sich zu kämpfen lohnt. Etwas, was wir den Fremden zeigen sollten, die hoffentlich weiter in diese viel zu still gewordene Gegend kommen.
 
In der letzten Woche haben wir in Berlin einen kleinen privaten Sorbischkurs gegründet. Ist schon mal ein Anfang. Es lebe der Dual! Möge die Lausitz nie eindeutig werden!
 


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