Görlitz/Zgorzelec oder:
Stadt der Spuren – Spuren von Stadt?
Eine Stadtwanderung in Bildern
„Die alten Städte der Lausitz. Ihre einzigartige Assimilationswelt. Das Gemisch aus verschiedenen Sprachen, Kulturen, Konfessionen, politischen Machtansprüchen. Sorben und
Schlesier, Polen und Deutsche. Die Oder und das Riesengebirge, Provinz und Grenzland. […]Eine Nachkriegskindheit aus Fülle und Raum also, aus Pracht und Tiefe. Doch in den Sog des Schönen eingelassen harsche historische Konturen. Denn die Stadt, zwischen 1815 und 1945 zur preußischen Provinz Schlesien gehörend, wurde nach Kriegsende in das deutsche Görlitz und das polnische Zgorzelec geteilt. Von da an trennte der Grenzfluss Neiße Menschen, Identitäten, Erinnerungen, Ressentiments. Sylvia Kabus nennt ihre Kindheit denn auch einen
„einzigen Ausnahmezustand, rauschauslösend, sinnenreich, bitter“, in der Schlesien, Preußen und eben Vertreibung zu Unworten wurden und sich die eigene, innere Welt früh schon auf Verborgenes, Abwesendes, Verschwundenes ausrichtete.“
Ines Geipel, 2008
Görlitz/ Zgorcelec an der Neiße. Schönste Stadt Deutschlands – Europastadt – Begehbares Architekturlehrbuch – Miniaturgroßstadt im Fußgängermaß – Görliwood –Pensionopolis – Stadt der Vertriebenen – Schlesisches Görlitz – Brückenstadt – Demografisches Katastrophengebiet – Schrumpfende Stadt – Subventionsgrab – steuerliches
Abschreibungsprojekt – Kulissenort – Hartz-IV-Stadt.
Über Görlitz lässt sich in vielen Schlagworten reden und über Görlitz wird in vielen Schlagworten geredet. Die Stadt ist seit Jahren eine Projektionsfläche für fast alles und beinahe jeden, ob er nun Kind der Stadt ist oder Gast von außen. Görlitz scheint nur aus
Geschichte und Geschichten über Geschichte zu bestehen. Die erzählte Stadt.
Das liegt zum einen daran, dass es neben Berlin keine andere Stadt in Deutschland gibt, die die Brüche des 20. Jahrhunderts und die Verstrickungen der Deutschen in dieselben so deutlich macht wie Görlitz. Doch anders als Berlin erzählt Görlitz von ihnen innerhalb einer
nahezu unzerstörten Stadtkulisse der „gewachsenen europäischen Stadt“. Görlitz sieht aus wie Berlin vor seiner Zerstörung. Nur in klein. Und mit nennenswertem Mittelalter.
Görlitz ist für den Fußgänger gebaut. Diese Wanderung führt an einem halben Tag einmal kreuz und quer durch die Stadt, fern der Pfade der Stadtführer. Straßenbahndepots, Fabrikantenvillen, Arbeiterviertel, Fabrikareale, das Krematorium, der Jüdische Friedhof, die
Synagoge, das Klinikum, der Bahnhof, die Post, der Tierpark, das Theater, die Stadthalle. Die Altstadt. Kirchen und Parks, Plätze, Boulevards und Gassen. Der Fluss.
In jeden dieser Orte sind in verschiedenen Schichten die Spuren der Görlitzer Geschichte eingeschrieben, die in den letzten hundert Jahren immer wieder eine Aneinanderreihung von
gewaltsamen Brüchen war. Deportation und Vernichtung, Zwangsarbeiter, Flucht und
Vertreibung, Stadtteilung, Umsiedlung, Volksaufstände, Verfall und Wegzug, Wende, Treuhand, Demontage, Sanierung, Arbeitsmigration, Leerstand, Verelendung, Schengen-Grenze, Rentnerzuzug, Filmkulisse, Sehnsuchtsort Bürgerstadt.
Diese Wanderung ist multisensuell. Leerstand hat einen Geruch. Schlesien kann man schmecken. Die deutsche Seite der Stadt hat einen anderen Klang als die polnische. Arno Schmidt will uns vom Ende der Welt erzählen. Und Werner Finck von den Kleinbürgern der
Weimarer Jahre.
Am Ende des Tages, wenn sich der Weg durch Görlitz und Zgorzelec zum Kreis geschlossen hat, wird die Frage danach stehen bleiben, wie viele Spuren eine einzige Stadt und ihre
Bewohner eigentlich ertragen können. Und dann können wir gemeinsam mit dem Vergessen beginnen.
Wenn wir das möchten.
„Die alten Städte der Lausitz. Ihre einzigartige Assimilationswelt. Das Gemisch aus verschiedenen Sprachen, Kulturen, Konfessionen, politischen Machtansprüchen. Sorben und
Schlesier, Polen und Deutsche. Die Oder und das Riesengebirge, Provinz und Grenzland. […]Eine Nachkriegskindheit aus Fülle und Raum also, aus Pracht und Tiefe. Doch in den Sog des Schönen eingelassen harsche historische Konturen. Denn die Stadt, zwischen 1815 und 1945 zur preußischen Provinz Schlesien gehörend, wurde nach Kriegsende in das deutsche Görlitz und das polnische Zgorzelec geteilt. Von da an trennte der Grenzfluss Neiße Menschen, Identitäten, Erinnerungen, Ressentiments. Sylvia Kabus nennt ihre Kindheit denn auch einen
„einzigen Ausnahmezustand, rauschauslösend, sinnenreich, bitter“, in der Schlesien, Preußen und eben Vertreibung zu Unworten wurden und sich die eigene, innere Welt früh schon auf Verborgenes, Abwesendes, Verschwundenes ausrichtete.“
Ines Geipel, 2008
Görlitz/ Zgorcelec an der Neiße. Schönste Stadt Deutschlands – Europastadt – Begehbares Architekturlehrbuch – Miniaturgroßstadt im Fußgängermaß – Görliwood –Pensionopolis – Stadt der Vertriebenen – Schlesisches Görlitz – Brückenstadt – Demografisches Katastrophengebiet – Schrumpfende Stadt – Subventionsgrab – steuerliches
Abschreibungsprojekt – Kulissenort – Hartz-IV-Stadt.
Über Görlitz lässt sich in vielen Schlagworten reden und über Görlitz wird in vielen Schlagworten geredet. Die Stadt ist seit Jahren eine Projektionsfläche für fast alles und beinahe jeden, ob er nun Kind der Stadt ist oder Gast von außen. Görlitz scheint nur aus
Geschichte und Geschichten über Geschichte zu bestehen. Die erzählte Stadt.
Das liegt zum einen daran, dass es neben Berlin keine andere Stadt in Deutschland gibt, die die Brüche des 20. Jahrhunderts und die Verstrickungen der Deutschen in dieselben so deutlich macht wie Görlitz. Doch anders als Berlin erzählt Görlitz von ihnen innerhalb einer
nahezu unzerstörten Stadtkulisse der „gewachsenen europäischen Stadt“. Görlitz sieht aus wie Berlin vor seiner Zerstörung. Nur in klein. Und mit nennenswertem Mittelalter.
Görlitz ist für den Fußgänger gebaut. Diese Wanderung führt an einem halben Tag einmal kreuz und quer durch die Stadt, fern der Pfade der Stadtführer. Straßenbahndepots, Fabrikantenvillen, Arbeiterviertel, Fabrikareale, das Krematorium, der Jüdische Friedhof, die
Synagoge, das Klinikum, der Bahnhof, die Post, der Tierpark, das Theater, die Stadthalle. Die Altstadt. Kirchen und Parks, Plätze, Boulevards und Gassen. Der Fluss.
In jeden dieser Orte sind in verschiedenen Schichten die Spuren der Görlitzer Geschichte eingeschrieben, die in den letzten hundert Jahren immer wieder eine Aneinanderreihung von
gewaltsamen Brüchen war. Deportation und Vernichtung, Zwangsarbeiter, Flucht und
Vertreibung, Stadtteilung, Umsiedlung, Volksaufstände, Verfall und Wegzug, Wende, Treuhand, Demontage, Sanierung, Arbeitsmigration, Leerstand, Verelendung, Schengen-Grenze, Rentnerzuzug, Filmkulisse, Sehnsuchtsort Bürgerstadt.
Diese Wanderung ist multisensuell. Leerstand hat einen Geruch. Schlesien kann man schmecken. Die deutsche Seite der Stadt hat einen anderen Klang als die polnische. Arno Schmidt will uns vom Ende der Welt erzählen. Und Werner Finck von den Kleinbürgern der
Weimarer Jahre.
Am Ende des Tages, wenn sich der Weg durch Görlitz und Zgorzelec zum Kreis geschlossen hat, wird die Frage danach stehen bleiben, wie viele Spuren eine einzige Stadt und ihre
Bewohner eigentlich ertragen können. Und dann können wir gemeinsam mit dem Vergessen beginnen.
Wenn wir das möchten.
Alle Fotos entstanden im Zeitraum 2007 - 2009 in Görlitz/Zgorzelec.