Vorrede
"Finger weg von meiner Paranoia, die war mir immer lieb und teuer, nie ließ sie mich so kalt im Stich wie du."
Element of Crime
Am Ende des zurückliegenden Herbstes unterlief mir ein Verrat an den eigenen Prinzipien, und daher hat nun Steam seine schmierigen DRM-Tentakelarme auch an meiner Festplatte festsaugen dürfen. Was wäre als Anlass dieses Prinzipienbruchs angemessener als ein Spiel, das sich ausgiebig mit den Überwachungsängsten und dunklen 1984 - Phantasien beschäftigt, die einen der schillernsten Aspekte der US-amerikanischen Popularkultur darstellen und gleichzeitig eine tragende Identitätssäule dieser bemerkenswerten Nation bilden.
Die Fakten sind ja allgemein bekannt und längst auch zu uns rübergeschwappt: die U S und A sind eine gigantische Spielwiese einer längst nicht mehr zu überschauenden Vielzahl von konkurrierenden, geheimen Regierungsorganisationen, die in kilometertiefen Bunkeranlagen Superviren züchten, Dimensionstore bewachen und als Aliens verkleidet entführten Bibelbeltlern ihre Finger in den Po stecken. Das Land wird von einer Schattenregierung von Superreichen geführt, hinter denen letztlich russische Oligarchen-Töchter-Schoßtiere mit telepatischen Kräften stehen. Jeder Bürger ist in diversen Listen verzeichnet, die im Falle eines quasi jederzeit ausrufbaren nationalen Notstandes seine sofortige Inhaftierung in lange dafür vorbereitete Lager regeln, wo sein Gehirn an einen Superrechner verstöpselt wird mit dem das Hubble-Teleskop seine eigentliche Funktion erfüllen wird: ein schwarzes Loch auf halbem Weg zum Mond zu öffnen, das unser Sonnensystem verschlingt – so wie es die Großen Alten seit langem planen. Ph'nglui mglw'nafh Cthulhu R'lyeh wgah'nagl fhtagn.
Verschwörungstheorien machen Spaß. Ich könnte mir quasi permanent welche ausdenken. Zum Beispiel bin ich davon überzeugt, dass das deutsche Autobahnnetz einzig und allein dem Zweck dient, der jeweils amtierenden Bundesregierung Sondereinnahmen zu bescheren. Das läuft über die LKW-Lieferflotte von Aldi, welches eigentlich eine Tarnfirma des
Verbraucherministeriums ist (Deswegen gibt es auch kaum Information über die Aldi-Brüder. Sie existieren schlicht nicht). Die LKW können von zahlungskräftigen Interessenten für einen gewissen Zeitraum gebucht werden, in welchem sie eine beliebige Werbebotschaft über Niedrigfrequenz-Wellen aussenden. Über das vorbildlich ausgebaute deutsche Autobahnnetz werden diese dann in jeden Winkel des Landes getragen. Mit den gerade in der Erprobung
befindlichen Gigalinern wird in Zukunft eine noch intensivere Bestrahlung möglich sein. Derzeit läuft hierzu ein vielversprechender Feldversuch. Hat die Leserschaft in letzter Zeit vielleicht auch gewundert, wieso sogar als seriös und kritisch geltende Printmedien eine tägliche Berichterstattung über das Dschungelcamp auf ihre Seiten gehievt haben? Eben. Die Wahrheit ist irgendwo da draußen!
Warren Spector hat bei Eidos zu alldem im Jahr 2000 das letztgültige Videospiel entworfen und herausgebracht. Es ist vorn auf der Inhaltseite ja im Bild zu sehen: ich trage seither tagtäglich den Deus Ex – Schlüsselanhänger der Special Edition dieses Spielmonolithen mit mir herum. Einer der im Spiel vorkommenden Türcodes bildet bis heute die Grundlage meiner
PIN-Zahl. Man kann sagen, dass mir Deus Ex einiges bedeutet. Daher mag man auch
ermessen können, mit welch bangen Gefühlen ich Deus Ex: Human Revolution zusammen mit Steam auf meiner Festplatte installiert habe. Und wie groß nun meine Erleichterung ist, meine überaus große Freude. Hosianna! Es gibt in dieser Branche also doch nicht nur Kretins. Es gibt hier Menschen mit einem Gewissen, Leute, die ein Verständnis für die Wurzeln dieses Unterhaltungsgenres haben und die begriffen haben, was die Faszination einiger seiner Klassiker ausmacht und wie man diese respektvoll in die Sprache der Gegenwart transferiert.
Aber ich will nicht zu sehr vorgreifen. Deus Ex: Human Revolution war für mich der Anlass, eine Art spielende Rekapitulation dieser Serie zu unternehmen und mich mit ihrem Werdegang auseinanderzusetzen. In den folgenden drei Teilen werde ich meine dabei gemachten Beobachtungen schildern. Es sei dabei vorausgeschickt, dass das bei Teil 1 und 2 auch unter Verwendung von Spoilern geschehen wird. Dies ist ein Metatext, der sich neben der Geschichte der Spiele auch stark mit ihrer Mechanik, dem Design etc. beschäftigen wird. Er geht von einem Publikum aus, das zum Kreis der Wissenden gehört. Den bereits mit Helios Verschmolzenen. Yesss.
Eins - Deus Ex (2000)
"First we take Manhattan, then we take Berlin."
Leonard Cohen
Der bei einem Terroranschlag abgesprengte Kopf der Freiheitsstatue liegt vor mir. Über die nachtschwarze Bucht leuchtet die Skyline von Manhattan herüber. Da vorne kommt der NSF-Soldat auf seiner Runde zurück. Ich mache den Teaser bereit.
Was für ein Auftakt! Deus Ex feiert in diesem Jahr seinen dreizehnten Geburtstag und es bringt das Kunststück fertig, heute mit seiner Geschichte noch dunkler zu wirken als zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung. Millenium. Postmoderne, Ende der Geschichte. In der Nachbar-WG gucken alle seit einer Woche rettungslos bekifft Matrix in einer Art Endlosschleife und schieben den Horror. Wir verschmelzen mit der Maschine. Dringlichere Probleme gabs damals für uns nicht. Ein Jahr darauf klingelt im Zeltplatzurlaub auf einer kroatischen Insel das Handy meiner Freundin. Ob bei uns alles okay wäre. Wir sind verwundert. Ja, habt ihr dort denn keine Zeitungen? Es ist der 11. September 2001. Am nächsten Morgen drängelt sich die komplette deutschsprachige Zeltplatzklientel um das einzige Inselexemplar der SZ. Bush Junior steht mit einem Megafon in den Trümmern am Ground Zero. In den nächsten Jahren lerne ich Stück für Stück, dass Deus Ex vielleicht gar nicht so fiktional war, wie ich ursprünglich gedacht hatte. Frei erfundene Kriegsgründe, geheime, über die Welt verstreute Verhör- und Folterknäste, dubiose Regierungsorganisationen, religiöse Fanatiker, Terror gegen Zivilisten, Verschmelzen angeblich verfeindeter Parteien ab einer bestimmten politischen Einflussgröße,
kriegsrechtähnliche Eingriffe in die bürgerlichen Freiheiten, Cyberangriffe auf Sicherheitsnetzwerke. War das nicht eben JC´s schwarzer Tarnkappenhubschrauber über den Dächern der Stadt?
Rückblickend begreife ich angesichts all dessen heute mehr und mehr, wie mir die popkulturelle Unbeschwertheit und (so selbstkritisch sollte man sein) Ahnungslosigkeit und Naivität der 90er Jahre doch fehlt. Wir waren noch gemeinsam mit Picard interstellare Gutmenschen und stolz darauf. Plötzlich ist das ein scheinbar gesellschaftlich anerkanntes Schimpfwort, in Talkshows streitet man sich über Religion, Kulturenkampf und angeblich über die Gene vererbbare Intelligenz von ganzen Kulturkreisen, Shooter sind keine kunterbunten Ballerbuden mehr sondern interaktive patriotische Rekrutierungsvideos für die NATO-Truppen und Jack Bauer wird auch gleich wieder drastisch bei den Ermittlungsmethoden. Deus Ex wirkt für mich heute wie ein Menetekel an der Wand. Bald ist Schluss mit lustig, Freunde. Und so kam es dann auch. Zu lachen hatten hier bald nur noch Leute mit einer sehr zynischen Auslegung von Humor. Ich bezweifle, dass Warren Spector das alles in diesem
Ausmaß vorhergesehen hat. Ganz sicher rechnete niemand bei Eidos während der Arbeit an diesem Spiel damit, dass ein Jahr nach seiner Veröffentlichung zwei Passagierflugzeuge in das New Yorker WTO gesteuert werden – obwohl die Twin Towers in der eingangs geschilderten Skyline fehlen (andererseits …). Aber das ist rückblickend nicht wichtig. Wichtig ist, dass er mit Deus Ex ein Kunstwerk geschaffen hat, das den Geist einer kurz vor ihrem Ende stehenden Epoche widerspiegelt, einen Ausblick auf das Kommende erlaubt, und das heute rückblickend erklären kann, wieso wir dort angelangt sind wo wir uns gerade befinden. So etwas gelingt nur selten. Wenn es glückt, erhält man etwas Epochales und zugleich Zeitloses. Einen Beitrag für den Kanon mit Ewigkeitsanspruch. Deus Ex ist, hm, sagen wir mal unser Mann ohne Eigenschaften. Unser Berlin Alexanderplatz. Oder unser kafkaeskes Schloss.
Ich habe im Vorfeld dieser Zeilen wie bereits geschrieben, Deus Ex nach Jahren noch einmal komplett durchgespielt, um das Gedächtnis aufzufrischen. Es dürfte denke ich das vierte Mal gewesen sein. Ich habe dabei die zeitlosen Qualitäten dieses Ausnahmespiels sofort wieder erkennen und wertschätzen können. Sein gutes Leveldesign. Die unglaubliche Vielschichtigkeit der Spielwelt sowie die große Sorgfalt, die bis in kleine Details bei der Umsetzung der Geschichte zu spüren sind. Die vorbildliche Implementierung verschiedener Lösungsansätze. Das ausgereifte Entwicklungssystem der Spielfigur. Der gut ausgewogene, mit dem Ausbau des Avatars steigende Schwierigkeitsgrad. Deus Ex ist bis heute was die Spieltiefe angeht maßgebend.
Trotzdem denke ich, dass es das jetzt in diesem Leben für mich war. Noch einen Durchlauf wird es wohl nicht geben. Denn ich habe dieses Spiel in jedem seiner Aspekte ausgeschöpft. Und ich habe mich beim jüngsten Durchlauf dabei ertappt, wie ich bereits gegangene Pfade wieder beschreite und von einem Flashback in den nächsten laufe. Am Ende lande ich doch immer wieder bei einem aufs Maximum ausgebauten Präzisionsgewehr und bei der Entscheidung, mit Helios zu verschmelzen, um meinen Gottkomplex wenigstens virtuell mal
richtig ausleben zu können.
Zum Abschied sollen daher hier auch ein paar Worte der zaghaften Kritik geäußert werden, die man sich nach dreizehn Jahren ungebrochener Vasallentreue vielleicht doch erlauben darf. Hauptsächlich bezieht sich diese Kritik auf den Stealth-Aspekt des Spiels. Den finde ich nämlich nicht hundertprozentig gelungen. Warum? Weil mir ein klares Feedback fehlt, wann mich die KI sehen kann und wann nicht. Brauche ich zwar beim vierten Durchlauf nicht mehr. Das liegt aber an mir und meiner Kenntnis jedes einzelnen Levels. Wirklich gute Schleichspiele, wie die beiden entfernten Thief-Verwandten, geben dem Spieler da entschieden mehr Feedback und vermitteln ein intensiveres Bedrohungsgefühl.
Ein anderer Kritikpunkt bezieht sich auf den Entscheidungsstrang, der zur Verschmelzung mit der Helios-KI führt. Der kommt nämlich kurz vor Schluss dann doch etwas holterdiepolter daher. Deus Ex ist ein Spiel, das den reinen Shooter – Spielansatz sicherlich nicht fördert und als beste Lösung ins Zentrum stellt. Das heißt aber nicht, dass es ein gewaltfreies Spiel wäre. Ich wage zu behaupten, dass die allerwenigsten das Spiel absolvieren, ohne "zu töten". Wenn einen Helios dann im Area 51 – Bunker plötzlich angesichts des zu Levelbeginn leblos am Boden liegenden Technikers über den Infolink nach den eigenen Gefühlen bei diesem Anblick fragt, dann verstehe ich das vom Storygesichtspunkt her als Versuch einer KI, das
menschliche Konzept von Moral zu begreifen. Aber angesichts JC´s auf dem Weg hierher erlangten Perfektion am Snipergewehr und dem einen oder anderen umprogrammierten Militärbot mit anschließendem Massaker unter dem Sicherheitspersonal passt das alles nur auf dem Papier so richtig gut zusammen.
Überhaupt muss ich sagen, dass man von Deus Ex wirklich viel behaupten kann. Aber eine besondere menschliche Wärme strahlt es nun nicht gerade aus. Und da ziehe ich durchaus Dinge wie Nicolette Duclares schwieriges Verhältnis zur verstorbenen Mutter oder den dankbaren kleinen Jungen im Pariser Silouette-Bunker mit in die Betrachtung ein. Zum Herz erwärmen geht man dann doch lieber in andere Welten.
Na ja. Und wie es die wackeren Eidos-Mannen im Jahr 2000 hinbekommen haben, aus der zu Dingen wie Unreal, Star Trek: Klingon Honor Guard oder Deep Space Nine: The Fallen fähigen Unreal Engine eine derart unscheinbare graue Maus zu machen, bleibt wohl auch ihr Geheimnis. Bei aller Liebe: ein optischer Hingucker war Deus Ex auch im Jahr 2000 schon nicht. Und mit Blick auf die weitere Entwicklung der Reihe muss man leider feststellen, dass Spieler viel verzeihen können. Cliff Bleszinski allerdings offenbar nicht. Man trifft sich im Leben immer zweimal. Drei Jahre später wird auch Warren Spector das erfahren müssen.
Hier bleibt zunächst aber festzuhalten, dass es bei Musil ja auch kein Argument ist, dass man in seine Sprache erstmal reinkommen muss. Klassiker bleibt Klassiker. Also setzt euch gefälligst auf Euren Hosenboden und spielt das, ihr Zwanzigundetwasler!
Zwei - Deus Ex: Invisible War (2003)
"And I heard a voice in the midst of the four beasts. And I looked, and behold a pale horse, and his name that sat on him was Death, and hell followed with him."
Johnny Cash
Deus Ex: Invisible War! Der 11. September des Videospiels am PC! Heulen und
Zähneklappern unter den PC-Spieler-Schäfchen auf immerdar und Verzweiflung und Tod. Warren Spector, der gefallene Engel – als Gehörnter kehrt er zurück in unsere Mitte, in seinen Händen Pandoras Büchse, die die Multiplatformeritis in sich birgt. Verderber! Brunnenvergifter! Vade retro, Satanas!
Ach, ich könnte noch seitenlang so weiter machen. Es gibt vermutlich kein Spiel der Post-2000er-Schwelle, das bei altgedienten PClern verlässlicher Entsetzensschreie hervorruft als "der Nachfolger des Spiels des Jahrzehnts!". Das steht hinten auf der Hülle drauf – und es ist natürlich ein Teil des Problems. Zwar hatten sich zum Zeitpunkt des Erscheinens von Deus Ex
trotz des nahezu einhelligen Kritikerlobs die angeblich so geschmacksfesten PC-Spieler in ihrer Masse beim Kauf noch vornehm zurückgehalten – das hinderte sie aber keineswegs daran, drei Jahre später im Grunde nicht erfüllbare Erwartungshaltungen hinsichtlich des Nachfolgers zu formulieren. Heuchler und Sophisten wie du und ich eben. Die Kritik an der Fortsetzung ist im Grunde bis heute so einhellig reserviert bis offen negativ geblieben, dass sie mich zehn Jahre lang davor hat zurück schrecken lassen, mir selbst ein Bild zu machen. Und ich spiele sonst echt alles – und sei es aus Pflichtbewusstsein meiner selbst gewählten Chronistenrolle gegenüber. Schlimmer als Sniper: Path of Vengeance und The Stalin Subway: Red Veil kann das hier ja wohl kaum sein. Aber die Angst davor, sich durch einen schlechten Nachfolger Teil 1 emotional verderben zu lassen, war zu groß. Wenn man sich die Bonus-DVD der Limited Edition von Deus Ex: Human Revolution ansieht, kann man den Entwicklern sogar
dabei zu hören, wie sie einerseits davon berichten, dass sie sich die beiden Vorgängerspiele sehr genau angeschaut haben. Andererseits versichern sie sofort, dass sie sich hauptsächlich an Teil 1 orientiert haben, weil sie die Fehler von Teil 2 vermeiden wollten. Deus Ex: Invisible War ist ein Pariah. Bis heute vermeidet man wo es geht, damit in Berührung zu kommen (Spieler) oder in Zusammenhang gebracht zu werden (Entwickler).
Und wie war es nun, wo ich mir doch ein Herz gefasst habe und ca. fünfzehn Stunden mit dem Schmuddelkind verbracht habe? Also, schlecht war es nicht. Aber es wäre falsch, die Probleme leugnen zu wollen, denn sie sind zu offensichtlich. Daher fange ich auch mit ihnen an.
"Die Xbox ist Schuld. Diese miese Plaste-Furzkiste für Hauptschulabbrecher und Couch-Spieler. Die Konsolen sind unser Unglück!" So tönt bis heute mancher über die Jahre bitter und hartherzig gewordene PCler. Und als Beleg zerrt man wortlos Deus Ex: Invisible War hervor.
Ich halte das alles für einen Irrtum. Ich bin sonst sofort an erster Front mit dabei, wenn es die Konsolen dafür zu zeihen gilt, die Checkpoint-Fixierung ursprünglich ins FPS eingeschleppt zu haben wie seinerzeit die Kolonistenschiffe die Hausratte auf den pazifischen Inseln. Aber der Xbox, für die das zweite Deus Ex 2003 parallel zum PC mit entwickelt wurde, die Schuld daran in die Schuhe schieben zu wollen, dass die Level des Spiels Schuhkartongröße aufweisen, ist meiner Meinung nach verkürzt. Ich bin wahrlich nicht dazu berufen, mich hier zum Verteidiger der Konsolen aufzuschwingen. Dafür mangelt es mir schlicht an ausreichender Kenntnis. Aber ich habe in meinem Regal einige Spiele zu stehen, die ihren Ursprung auf den Konsolen jener Jahre haben und die ich sehr schätze, ja mitunter sogar liebe. GTA 3, The Thing, Silent Hill 2, Beyond good and evil, Psychonauts, Gun, Total Overdose, Rogue Trooper. Von den Multiplattformern gar nicht zu reden. The Witcher: Assassin of Kings ist eine Parallelentwicklung für PC und 360. Ich als PCler hatte zumindest keinen Grund zur Klage ob als mangelhaft empfundener Weitläufigkeit. In all diese hier genannten Welten bin ich gerne abgetaucht, und überall gab es da genug zu entdecken. Ich meine, herrje: GTA! Der Inbegriff von großer Freiheit Nr. 7. Ein Kind der Konsole durch und durch.
Nein, nein. Der Grund dafür, wieso ich mich beim Spielen von Deus Ex: Invisible War sehr oft an das aus dem Volksmund bekannte Liedchen "Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad, Motorrad, Motorrad …" erinnert fühlte, ist ein ganz anderer. Es ist die gottverdammte Unreal Engine 2.0
Da hat der Cliff B. dem Warren Spector 2003 ein schönes Ei gelegt. Die Unreal Engine hatte ja schon das Ursprungsspiel zuverlässig befeuert – was sollte also beim Nachfolger schief laufen? Blindkauf! Und zunächst muss man ja auch im Abstand von zehn Jahren anerkennen, dass sie immer noch ihre Stärken hat. Visuell ist das auch heute noch absolut in Ordnung. Sehr schöne Licht- und Schatteneffekte, satte Farben und Kontraste, schöne Charaktermodelle. Nur leider hilft das alles nichts, wenn eine gesamte Stadt-Hub im zweiten Deus Ex von der Fläche her in die Lobby des Versalife-Gebäudes von Teil 1 passt. Wenn es nicht so traurig gewesen wäre, hätte ich manchmal wirklich lachen können. Beispielsweise lobt einen in Kairo tatsächlich der Omar-Händler dafür, dass man ihn gefunden hat. Wollt Ihr mich verarschen? Wer verläuft sich denn bitte in diesen ganzen zwei Straßenzügen hier? Einer der Gründe für die Faszination des Ursprungsspiels war die Tatsache, dass sich die Verschwörung nicht nur in der Geschichte widerspiegelte. Nein, sie ließ sich auch im Leveldesign nachvollziehen. Da gibt es einfach mal so in der Kanalisation von Hells Kitchen einen Geheimknast von Majestic 12. Und der ist dann eben größer als alles, was man im zweiten Teil unter der Bezeichnung "Levelabschnitt" zwischen zwei Ladescreens zur Linken und zur Rechten serviert bekommt. Deus Ex vermittelte tatsächlich einigermaßen das Gefühl, sich in einer großen Welt zu bewegen, in der unter der Oberfläche überall Verborgenes darauf wartet, entdeckt zu werden. Deus Ex: Invisible War vermittelt einem hingegen sehr glaubhaft einen Eindruck davon, wie sich der bekannte Elefant im ebenso bekannten Porzellanladen fühlen muss. Alles sehr hübsch. Und bei jeder Bewegung stößt man sich irgendwo und schmeißt aus Platzmangel Dinge um.
Einige weitere Kritikpunkte, die immer wieder in Bezug auf das Spiel genannt werden, hängen ebenfalls mit der Puppenstubenhaftigkeit der UE 2.0 zusammen. Das geschrumpfte Inventar. Die stark gekürzten Texte in Büchern. Und eine Eigenart dieser Engine, die noch in Bioshock zu beobachten ist, das ihre letzte, aufgebohrte Fassung benutzt: die Unproportionalität von Weltobjekten und restlichem Level. Alles ist irgendwie eine Spur zu groß. Kann man in Bioshock ziemlich zu Beginn sehr schön bei dem Kinderwagen mit dem
Splicer-Script beobachten. Schön modelliert, toller Schattenwurf – aber im Verhältnis zur Höhe des Gangs, in dem er steht, zu groß. Das gleiche gilt auch für die Charaktermodelle und im Level liegende Dinge zum Aufsammeln.
Natürlich erzählt das Spiel noch immer einen interessanten, klug ausgetüftelten Plot, in dem viele Fraktionen um die Gunst des Spielers ringen, gegeneinander arbeiten usw. Aber weil die Level dieses Spiels so unglaublich klein sind, wird die Sache mitunter beinahe absurd und
verliert die Bodenlosigkeit, die sich noch im ersten Teil immer wieder unter einem auftat. In jedem Level stehen ungefähr zehn NPC´s herum. Beinahe die Hälfte von ihnen gehört irgendeiner Fraktion an. Man steht sich hier buchstäblich gegenseitig auf den Füßen. Es kommt vor, dass tatsächlich einen Raum weiter die jeweiligen Todfeinde gemütlich beisammen stehen und darauf warten, dass gleich Alex vorbeikommt, um für sie Partei zu ergreifen, um die Nemesis im Nachbarraum zu besiegen. Tut mir leid – so was kann ich nur mit äußerst viel gutem Willen ernst nehmen.
Zu diesen augenfälligen Unzulänglichkeiten der Engine tritt dann leider der zweite Negativaspekt hinzu. Und den muss sich diesmal Spector selbst anziehen. Denn leider war man wohl mit Blick auf die Verkaufszahlen von Teil 1 der Meinung, dem Fußvolk in einigen zentralen Aspekten stark entgegen kommen zu müssen, um es zu größerem Kauf zu animieren. Offensichtlich war Deus Ex damals einfach ein bisschen zu kompliziert. Also
kommen wir den Leuten doch etwas entgegen. Was könnte die denn alles so gestört
haben? Hm, hm.
Im Ergebnis wurde der Rollenspiel-Aspekt quasi komplett gestrichen, der Spielfokus stärker auf Schießen als auf Schleichen gelegt, das Inventarmanagement im Grunde abgeschafft. Für den Fall das sich jemand beschwert, weil er sich für eine Variante der Modifikation entschieden hat und nun aber doch lieber die andere … schön, kann er halt nach Belieben wechseln (fast dieselbe bekloppte Idee hat übrigens später auch Bioshock gehörig Anspruch und Spieltiefe gekostet). Im ersten Teil dauerte es zu lange, bis man Hacken auf Max hatte und die Leute standen immer wieder vor nicht knackbaren Türen? Können wir nicht mehr bringen. Diesmal muss jeder zur Hälfte des Spiels bei allen Mods ein Crack sein. Ach und lasst uns gleich auch noch die Behälter durchsichtig machen, damit die Leute vorher schon sehen können, was drin ist und ob sich das Hacken lohnt. Und ein Munitionstyp reicht doch eigentlich auch. Und mit Türcode-Management belästigen wir den Spieler besser auch nicht
mehr.
Ich will jetzt nicht ewig so weiter meckern. Mit einigen Neuerungen konnte ich auch ganz gut leben. Das mit der Munition hat mich jetzt nicht extrem gestört. Das veränderte HUD mit der Iris-Anmutung hatte eigentlich was. Bei den Waffenmods haben sie sich sogar richtig was einfallen lassen, die fand ich interessanter als im ersten Teil. Und auch wenn die Level viel zu klein sind – spielen lässt es sich in ihnen trotzdem gut und manchmal sogar beinahe fordernd. Warren Spector und seine Leute haben nun auch nicht alles komplett verlernt. Außerdem muss man als Fan der Reihe den Antarktis-Level mit JD´s Festung gesehen haben. Der Gang durch die Erinnerungen der KI ist Pflicht und womöglich sogar Teil des Videospielkanons.
Vielleicht lässt sich meine Kritik an Deus Ex: Invisible War wie folgt zum Punkt bringen: im ersten Teil wurde um das Nanitenschwert eine komplette, mehrstündige Questreihe mit eigenen, komplexen Levelbauten gestrickt. Im zweiten Teil liegt es einfach so, quasi am Wegesrand, in einem Labor auf einem Schreibtisch.
Gibt’s auch Gutes zu berichten? Aber klar. Im Übrigen hätte ich mich bei der Kritik kaum so ins Detail begeben, wenn mir das Spiel an sich nicht wichtig wäre. Nur über Sachen, die einem am Herzen liegen, regt man sich auf. Was mich an Deus Ex: Invisible War beeindruckt hat, ist die Konsequenz, mit der man hier eine eh schon nicht gerade positiv auf die Welt
blickende Ausgangsposition in aller Schwärze weitergeführt und auf die Spitze getrieben hat. Selten zuvor empfand ich ein Ende als dunkler und hoffnungsloser. Das Spiel beginnt mit der Vernichtung ganz Chicagos. Und am Ende hat man die Wahl, ob man die Geschicke der Welt lieber in die Hände eines allmächtigen, faschistoiden KI-Diktators einer Schwarm-Intelligenz legen möchte und damit die Individualität und den Freien Willen in ihrer jetzigen Form beendet. Man kann sich aber auch auf die Seite einer mehr oder weniger skrupellosen
Schattenregierung der Superreichen und –mächtigen schlagen. Dann gäbe es noch die Option eines zweiten Dunklen Zeitalters der brennenden Scheiterhaufen, des religiösen Wahns und der Maschinenstürmerei. Oder als vierte Option völlige Anarchie und den Übertritt in eine postapokalyptische Fallout-Welt. Und, lieber/liebe Alex, wer soll denn nun dein Herzblatt sein?
Cyberpunk ist als Kind der 1980er Jahre schon immer von Pessimismus und einem guten Schuss Misanthropie geprägt gewesen. Das ist letztlich sein Gattungsmerkmal und aus seiner Entstehungszeit heraus kulturell nachvollziehbar. Trotzdem hatte ich nach dem Ende von Deus Ex: Invisible War wie selten zuvor das Bedürfnis, raus zu gehen und nett zu ein paar willkürlich ausgewählten Menschen zu sein. Und das sagt ja wohl auch etwas über das Klima des Jahres 2003, in dem dieses Spiel veröffentlicht wurde. Es ist dabei auch interessant zu beobachten, dass einem das Spiel anders als der Vorgänger bis quasi eine Stunde vor Schluss völlig freie Hand bei der Entscheidung lässt, für welche Fraktion man Aufgaben übernimmt. Eine Zeit lang empfand ich das als Kritikpunkt. Eben bin ich ihnen mit meiner Entscheidung in den Rücken gefallen – und trotzdem wollen sie wieder meine Unterstützung? Mit Blick auf das Ende erscheint mir dieses Fraktionsdesign aber als nachvollziehbare Story-Entscheidung. Aus dem gleichen Grund hat Warren Spector übrigens auch den Kniff angewandt, für den Anfang der Geschichte von Teil 2 vorauszusetzen, dass alle drei Endentscheidungen von Teil 1 parallel eingetreten sind. Ihm gelingt damit die Schaffung einer politisch sehr vielschichtigen Welt der unterschiedlichen Schattierung von Schwarz, wie ich sie in einem Videospiel bisher nicht noch einmal erleben konnte.
Deus Ex: Invisible War ist eine tiefschwarze Studie über Entscheidungsfreiheit und ihre Grenzen bzw. Konsequenzen. Ein bitterböser Spiegel unserer westlichen Zivilisation und ihres Fortschrittsideals. Comedy für Zyniker. Ist man an ihr Ende gelangt, ist es Zeit, den Rechner
auszuschalten und hinaus unter die Leute zu gehen. Wo die Welt größer ist als zehn Quadratmeter. Und wo einem mit etwas Glück ein freundliches Gesicht begegnet. Auch so ein Deus Ex Machina – Erlebnis.
Drei - Deus Ex: Human Revolution (2011)
"Its not the end of the world (But I can see it from here)."
Lostprophets
Ich weiß wirklich nicht, ob es für einen Text eine kluge Strategie darstellt, mit dezidiertem Lob zu beginnen. Ich tue es in diesem Fall trotzdem einmal und hoffe, dass ich damit bis zum Ende des Textes durchkomme. Ich halte Deus Ex: Human Revolution für ein ganz ausgesprochen gutes und in vielen Aspekten vorbildliches Spiel. Mein erster Durchlauf dauerte ungefähr eine Woche. An ihrem Ende rieb ich mir ungläubig die Augen und begann die Reise noch einmal – nur um an ihrem Ende erneut begeistert zu sein. Was Eidos mit dieser Neugeburt einer fast eine Dekade schlummernden Franchise im Jahr 2011 vorgelegt hat, ist angesichts des auch von mir immer wieder beklagten Zustandes der Industrie im AAA-Bereich nichts Geringeres als ein kleines Wunder und treibt mir noch immer Tränen der Freude und Dankbarkeit in die Augen. Dabei möchte ich hier einen Punkt stark machen, der bei allen Unterschieden in der Gameplayauslegung sowie der Levelarchitektur eine Verwandtschaft dieses Titels mit dem für mich anderen großen Spiel des Jahres 2011 offenbart: The Witcher: Assassin of Kings.
Diese beiden Spiele verbindet ihre Reife. Ihre erwachsen wirkende Souveränität. Die Ernsthaftigkeit, mit der sich ihre Macher mit der Genese des jeweiligen Genres und dessen Klassikern auseinandergesetzt haben. Kennerschaft. Die Fähigkeit, ein Konzept zu Ende zu denken und es diszipliniert umzusetzen. Ich habe oft über die Tendenz in diesem Unterhaltungsgenre geschimpft, so zu tun, als wäre es geschichtslos. Über die Ignoranz seiner Evolution gegenüber. Über die Missachtung des Kanons. Nicht, weil ich diesen Kanon an sich für unantastbar und nicht kritisierbar halte. Sondern weil nur mit seiner bewussten Weiterentwicklung eine wirkliche Verbesserung und Evolution stattfinden kann. Ansonsten sind wir auf ewig dazu verdammt, wie die Kleinkinder jeden Tag aufs Neue unser wackeliges Bauklotz-Türmchen zu errichten.
Deus Ex: Human Revolution vereint in sich Aspekte von Spielen, die ich bis heute für wegweisend halte und sozusagen nahe bei meinem Herzen trage. Das originale Deus Ex. Thief 2. System Shock 2. Die Menschen, die dieses Spiel entwickelt haben, sind ganz offensichtlich fundierte Kenner dieser drei auf vielen Ebenen miteinander verbundenen Meilensteine. Ich habe während des Spielens immer wieder Anmutungs-Flashbacks gehabt. Das Inventar, das sich wohltuend an System Shock 2 orientiert, sowie das eindeutig von Braun – inspirierte Schlusslevel in der Antarktis. Die auf schleichendes Erkunden
ausgelegten Maps, in denen man mit der KI Verstecken spielen kann. Die Notwendigkeit, mit der Munition zu haushalten. Die erzählerische Tiefe und philosophische Durchdachtheit der Spielwelt.
Ich werde mein Lob im Folgenden in drei Absätze gliedern, die immer auch ein wenig Kritik mit enthalten werden. Meinen Hauptkritikpunkt hebe ich mir für das Ende und einen eigenen Absatz auf.
Ich bin sonst ja nicht der Typ Spieler, dem die optische Anmutung eines Titels für dessen positive Einschätzung extrem zentral ist. Aber ich muss es in diesem Fall sagen: das Artdesign von Deus Ex: Human Revolution gehört für mich zum absolut Besten, was ich in meiner Spielerkarriere bisher erleben konnte. Wie das, mag man fragen? Die visuellen Effekte sind doch lediglich guter Durchschnitt. Die Städtehubs könnten noch viel lebendiger sein.
Beispielsweise fuhr durch die frühen Ingamevideos von Detroit noch eine Magnetschwebebahn. Wo ist die abgeblieben? Außerdem gibt es im Grunde überhaupt keine Objektphysik, was die Interaktivität der Level stark beeinträchtigt und für einen AAA-Titel der 2010er Jahre eigentlich zum Pflichtprogramm gehören sollte.
Alles richtig. Ist mir aber egal. Denn ich bekomme die Atmosphäre nicht mehr aus dem Kopf, die sich beim Betreten von Jensens Apartment einstellt, wenn das Licht durch die sich automatisch öffnenden Jalousien fällt. Ich denke an Sarifs Büro. An die Suite von Zhao Yun Ru. An die Deckengestaltung in den Limb-Kliniken und im Versteck von Tong. Ich sehe die Fahrt mit dem Lift in die zweite Ebene von Heng Sha vor mir und wie sich mein Blick zum ersten Mal über die ins Sonnenlicht getauchte künstliche Parklandschaft der Upper Class
erstreckt. Dazu im Kontrast die Schlafbuchten der Arbeiter in Lower Heng Sha. Der zentrale Rechnerraum von Tai-Yong-Medical. Der Raum der KI im Bunker von Picus. Panchaea, das riesenhafte Loch im Ozean. Megans weißes Zimmer. Der herzförmige Durchgang, der sich nach dem finalen Bosskampf zum "Raum der Entscheidungen" öffnet.
Ich denke an die eigens für die Zeit dieses Spiels entworfene, an die Renaissance angelehnte Mode und Innenarchitektur. Ich denke an die Körperaugmentierungen der unterschiedlichen NPC´s von dezent bis martialisch.
Und ich denke an die Sepia-Töne, die das gesamte Spiel dominieren und in eine geheimnisvolle, etwas unwirkliche Stimmung tauchen. Ich war im Vorfeld ein erbitterter Feind des gelben Highlightings (sie haben meinen Protest sogar im Rahmen der an Eidos gerichteten Spieler-Petition neben anderen wörtlich zitiert), und ich habe gejubelt, als die Entwickler ein Einsehen hatten und es optional machten. Ich habe es in meinem ersten Spieldurchlauf nicht deaktiviert. Das gelbe Leuchten war so ein schöner, stimmiger
Farbkontrast zum Sepia.
Deus Ex: Human Revolution strahlt eine edle, zeitlose Gediegenheit aus. Wie ein Messinglampenschirm der Belle epoque. Dieses Spiel ist schön. Es schmeichelt dem Auge. Und alle seine Schlüsselszenarien sind gleichzeitig Metaphern für verschiedene politische und
(gesellschafts)philosophische Konzepte. Deswegen ist seine Schönheit noch dazu klug. Optik mit Hirn. Vorbildlich.
Jeder Teil der Reihe setzt beim Gameplay einen eigenen Schwerpunkt und definiert für sich eine eigene Auslegung des Spiels. Teil 1 ist bis heute meiner Meinung nach der beste RPG-FPS Hybrid der Videospielgeschichte. Wenn ich ihm eine Waffe zuordnen müsste, wäre es das voll ausgebaute Präzisionsgewehr. Teil 2 erhöhte die Kampfbetonung und ging einen größeren Schritt in Richtung Action-Adventure. Ich verbinde mit ihm vor allem die Betäubungspistole und die Schwarzmarktmod mit der völlig unbalancierten weil überpowerten steuerbaren Sprengdrohne.
Teil 3 nun ist ein Schleicher. Mich hat das überrascht, ich hatte mit so etwas nicht gerechnet. Vor allem nicht damit, dass es der Schleicher werden sollte, der mir seit Thief 2 den meisten Spaß bereiten würde. Klar, man kann Deus Ex: Human Revolution auch als brachialer Fernkämpfer und vor allem als nicht weniger brachialer Nahkämpfer absolvieren. Ausfahrbare
Wolverine-Klingen, Sprungattacken aus großer Höhe, die Taifun-Waffe. Das alles versehen mit automatischer Außenkamera, damit die heutige Videospieljugend auch was zum Gucken hat. Hat mich alles nicht sonderlich interessiert. Ich habe lieber meine Stealthpistole aufs Maximum aufgebohrt, sodass ich einzig und allein mit ihrer Hilfe aus der Deckung heraus Faridahs Heli bei unserer Rückkehr nach Heng Sha vor den Belltower-Truppen verteidigen konnte. Ach, Faridah …
Sicher, das Spiel drängt einen auch mit der limitierten Munition, dem begrenzten Inventar und nicht zuletzt der Belohnung in Form von etwas mehr XP sanft dazu, den Stealth-Zugang zu wählen. Aber ich habe das nicht als Nötigung empfunden. Denn ich schleiche und verstecke mich sehr gern. Hach, die Freude, sich aus dem Versteck zu lösen und den ahnungslosen Wachmann ins Reich der Träume zu schicken (hier verbunden mit ordentlich viel Knochen brechen und Fresse polieren – nur leider automatisiert auf Knopdruck). Klar ist die KI nicht auf dem Niveau der Wachleute in Thief, und manchmal wird die Nummer ein
bisschen arg einfach, weil die Laufwege zu leicht ausrechenbar sind. Andererseits war eine gewisse Übermächtigkeit der Spielfigur noch in jedem Teil von Deus Ex gegeben – nur eben auf anderen Feldern als hier. Es macht mir einfach einen Heidenspaß von Deckung zu Deckung zu rollen und in den gut entworfenen Innenlevels Winkel zu suchen, in denen ich einen Wachmann nach dem anderen leise aus dem Spiel nehmen kann. Mich beinahe wie Garrett damals durch Büros und Apartments zu räubern. Außer natürlich Maliks Büro. Faridah beklaue ich nicht. Ach, Faridah …
Die Steuerung dafür geht angenehm flüssig von der Hand, der Wechsel aus der Ego-Perspektive in die Third-Person, wenn ich die Option dazu nutzen möchte, funktioniert reibungslos und fließend. Und wer jetzt mit dem Argument kommen möchte, dass das Deckungssystem mit der externen Kamera zu leicht ist und beinahe wie ein Cheat funktioniert, weil einen die KI, so sie von unserer Anwesenheit nichts weiß und also nicht im Suchmodus ist, in der Deckung grundsätzlich nicht sehen kann – dem antworte ich frech, dass das beim guten alten Garrett mit dem Schatten genauso war. Ich kann mich noch sehr gut an die, einen Zentimeter vor mir mit dem Schwert herumstochernden, Wachleute
erinnern. Realistisch? Nö, nicht wirklich. Aber spaßig wie nur sonst was. Deus Ex: Human Revolution ist ein feiner Schleicher.
Unterstützt wird dieser Fakt durch ein sehr vorzeigbares Leveldesign (der Picus-Level!), das alternative Wege bereithält und für jeden Spielertypen eigene Zugänge offeriert, wie man es von einem guten Deus Ex – Titel erwarten darf. Schleichen oder Konfrontation oder eine Mischung aus beidem – bis auf die Bosskämpfe habe ich immer die Wahl. Ich kann mich mit der entsprechenden Augmentierung durch Wände kloppen und damit neue Levelwege
erschließen. Tief fallen und hoch springen. Hacken ist immer eine sinnvolle Option und wird hier in einem Minispiel präsentiert, das nie langweilig wird und für mich hinter den Cyberspace-Hacks von System Shock 1 die bisher zweitbeste Umsetzung erfährt, die ich in reichlich zwanzig Jahren Videospielerei kennen lernen durfte. Glückwunsch an Eidos dafür. Und dann ist da natürlich noch der Sozialoptimierer, mit dem ich auf voller Ausbaustufe an
entscheidenden Stellen des Spiels Rededuelle mit zentralen NPC´s ausfechten kann, was wirklich jedes Mal eine ungeheuer mitreißende Sache ist. Eine ausgezeichnete Neuerung und eine echte Bereicherung der Serie.
Eidos machen damit beim Gameplay für mich sehr, sehr viel richtig. Ich spiele einen augmentierten Übermenschen. Und die Welt ist mein Spielplatz. Die Stunden verflogen für mich wie im Flug. Spaß, Spaß, Spaß. Ein Kritikpunkt bleibt aber leider mal wieder stehen: auch hier folgt man dem Trend, den Spielern nichts vorenthalten zu wollen, der schon Bioshock befallen hatte. Es gibt auch hier selbst auf Schwer noch zu viele Erfahrungspunkte. Meine Figur muss sich zu wenig spezialisieren und wird zum Beinahe-Allrounder. Kein
Vergleich zum ersten Deus Ex oder gar zu System Shock 2, wo ich wirklich noch vor schwierigen Entscheidungen beim Charakterausbau stand, deren Konsequenzen sich durch das ganze Spiel zogen.
Kommen wir zur Geschichte. Dazu ist zunächst zu sagen, dass Eidos auf die enorm kreative Idee verfiel, die Geschichte davor zu erzählen. Gähn, dachte ich mir im Vorfeld. Ein weiteres Prequel. In zwanzig Jahren wird man auf diese Epoche blicken – und was wird man sehen? Junge Menschen mit dem womöglich fragwürdigsten Modegeschmack der popkulturellen
Geschichte, wie sie sich neu aufgelegten Verhunzungen von Klassikern der Film-, Musik- und Videospielgeschichte aussetzen. Das Vintage-Zeitalter. Zum Kotzen! Hoffentlich bin ich nicht mehr am Leben, wenn die 2010er Jahre ihr Revival erfahren. Oder wenigstens senil.
Dann habe ich Deus Ex: Invisible War gespielt. Danach war ich froh, nicht mehr in diese deprimierende Welt zurück zu müssen. Spector hat 2003 die Serie äußerst grimmig enden lassen. Darauf nun aufzubauen, hieße, diesem Ende seine düstere Wucht zu nehmen. Kann man machen. Oder man lässt es so stehen und geht zeitlich weiter nach vorn. Ich kann Eidos´ Entscheidung also in diesem Fall nachvollziehen und heiße sie wenn ich ehrlich bin sogar gut.
Deus Ex: Human Revolution spielt im Jahr 2027 und damit 25 Jahre vor den Ereignissen von Deus Ex. Wir sind damit in der gar nicht so fernen Zukunft. Und wie es Eidos in seinem Titel gelingt, eine Version dieser Zukunft zu entwickeln, die aus heutiger Sicht einerseits nicht komplett fantastisch wirkt und die sich andererseits aber mit vielen Andeutungen und
Brücken in den Kanon der Reihe einfügt und elegant auf die Geschehnisse von Deus Ex vorausweißt – das ist reifes Erzählen von allererster Güte und sucht in der Videospielgeschichte seines Gleichen. Hier ist sagenhaft viel Mühe aufgewandt worden, hier haben wirklich fähige Leute geschrieben – und man merkt das an allen Ecken und Enden.
Die Welt des Spiels ist durch und durch politisch. Noch in den kleinsten Gesprächen zwischen NPC´s, in Nachrichtenschnipseln und Zeitungsartikeln wird auf politische Diskurse Bezug
genommen. Die Autoren nehmen zeitgenössische Themen unserer realen Welt auf und
spinnen sie im Spiel weiter. Präimplantationsdiagnostik, Organspende, Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen, Behindertenrechte – dieses Spiel ist ein Spiegelbild unserer gegenwärtigen gesundheitspolitischen Diskurse und macht sie zu einer Metapher, einem Schlachtfeld. Oben drauf gibt es noch Klimawandel und Geoforming, moderne Arbeitssklaverei (wie wir sie aus den Reportagen zu China in den letzten Wochen kennen), Wirtschaftsspionage, Nahost-Konflikt und Produktpiraterie. Und nigerianische Spams. Und rechte Verschwörungsprediger im Radio. Und und und.
Klingt alles auch ganz schön düster? Ist es auch. Interessant ist aber, dass die Spielwelt mit ihrer weitestgehend cleanen Ästhetik etwas ganz anderes suggeriert. Sie dokumentiert Fortschrittsglauben, Zuversicht, Technikvertrauen. Renaissance eben. Adam Jensens Welt ist noch nicht die Welt von J.C. Denton. Wir spielen den gut bezahlten Sicherheitsmann eines Privatunternehmens, dessen Lebenswelt sich weit oberhalb der einfachen Leute draußen auf den Straßen abspielt. Im Lauf des Spiels sind wir gezwungen, uns hinunter zu ihnen zu begeben. Und dabei wird die schöne Kulisse immer brüchiger. Um am Ende den Blick auf die düstere Cyberpunk-Zukunft frei zu geben. Wahnsinnig gut! Enormes Niveau!
Der eigentliche Plot kann dem nicht ganz das Wasser reichen. Immer noch deutlich über Durchschnitt. Aber doch um einige Doppel- und Abgründigkeiten ärmer als das originale Deus Ex und sein Nachfolger. Wir wechseln nicht wirklich die Seiten. Die Verschwörung bleibt in ihren Motiven weniger abgründig. Das macht sie zwar nachvollziehbarer und damit im Grunde
relevanter. Aber eben auch etwas absehbarer. Wenn Deus Ex auf der Cyberpunk-Unheilskala dunkelblau ist und Deus Ex: Invisible War nachtschwarz – dann ist Human Revolution eher veilchenblau. Wir befinden uns hier in einer Ouvertüre. Das dunkle Motiv ist bereits kurz angeklungen. Aber zur vollen Entfaltung kommt es erst in den späteren Akten. Das mag man kritisieren, wenn man den dritten Teil für sich nimmt. Als Prequel in einer Reihe ist es aber
folgerichtig und Eidos verdient für die noch etwas angezogene Story-Handbremse eigentlich Lob statt Kritik.
Soweit mein dreigeteiltes Lob. Und was kritisiere ich nun? Nicht die Bosskämpfe, falls das jemand erwartet haben sollte. Nicht schön (womit ich nicht ihre Optik meine) und zumindest in seiner ersten Variante auch etwas unbalanciert. Aber für mich keine größeren Spaßbremsen als jeder andere Bosskampf in jedem anderen Titel außerhalb von Psychonauts, Painkiller und den Thief-Spielen. Auch der Kampf gegen Walter Simons im ursprünglichen Deus Ex war spielerisch uninteressant und lästig. Man sollte dieses Relikt im FPS endlich mal rückstandsfrei entsorgen. Das hat sich schlicht und einfach überlebt.
Bedauert habe ich, dass es im Vergleich zu Deus Ex ein bisschen wenige Stampfmechs gab. Ist zwar aus dem technischen Entwicklungsstand der Welt heraus verständlich und auch vom Szenario her meist nachvollziehbar. Aber ich will trotzdem mehr Stampfmechs!
Und ein Freund von vollautomatisierten Knopfdruck-Takedowns werde ich in diesem Leben nicht mehr werden. Ermüdend, sich die immer und immer wieder ansehen zu müssen. Selbst wenn Ihr sie von der Engine nach Zufallsprinzip in Varianten auswürfeln lasst, ich will das selber machen, Eidos verdammich! Aber so sind die Zeiten und den jungen Leuten wie den
Aktionären scheint es zu gefallen und ich beuge mich widerwillig. Immerhin darf ich zum Ausgleich überall speichern wo ich möchte. Dafür verzeihe ich eine Menge. Man ist ja mit den Jahren bescheiden geworden. Und auch ein bisschen verzweifelt, weswegen jeder Strohhalm dankbar ergriffen wird.
Ach – und die Erweiterung "The missing link" hätte natürlich von vornherein ins Spiel gehört. Ich meine, sie lassen im Hauptspiel eine Storylücke, um diese hinterher zum Extrapreis nachzufüllen. Das ist natürlich geplant passiert und ich heiße das nicht gut.
Meine Hauptkritik an Deus Ex: Human Revolution ist jedoch, dass ich in ihm zu viele Deja-vus hatte. Ich muss das erklären. In Deus Ex gibt es die Stelle unmittelbar nach dem Bosskampf mit Gunther Hermann. Walter Simons meldet sich und sagt J.C., dies wäre der Letzte der Mechs gewesen. Im dritten Teil sind wir nuneiner dieser Mechs, und sogar ein besonderer, was ja bereits die Adams-Metapher andeutet. Wir erleben aber eine Geschichte, die so
derart viele Parallelen zum Plotverlauf des Abenteuers von J.C. aufweist, dass ich mich immer wieder gefragt habe, ob ich hier eigentlich noch ein Reboot oder schon ein Remake spiele. Natürlich hat es mich als Fan der ersten Stunde gefreut, all die kleinen Anspielungen und Easter Eggs zu entdecken, die auf den Erstling aus dem Jahr 2000 hinweisen. Aber spätestens an dem Punkt, als ich das Materiallager neben dem Helipad bei Sarif Industries fand und ich sofort an das andere Lager denken musste, dass sich an vergleichbarer Stelle beim UNATCO-Quartier in Teil 1 befand, wurde die Fassade für mich brüchig und mich
beschlich immer mehr das Gefühl: die haben die Grundstruktur von Deus Ex geklont! Die haben sich quasi den Bauplan des Ursprungsspiels genommen – und auf diesen haben sie mitunter deckungsgleich ihre Handlungsorte, die Figurenkonstellation und ihr Storygerüst drauf gesetzt. Dieses Spiel schwankt zwischen Zitat und Kopie hin und her, wie die Plagiatschrift eines durchschnittlichen Politikers der aktuellen deutschen Regierung.
Ich habe mich lange gefragt, warum Eidos das bei all der hier von mir so überschwänglich gelobten Kreativität und handwerklichen Begabung getan hat. Meine Vermutung ist: die Fans sind Schuld. Leute wie ich. Die hatten Schiss vor uns. Die Episode mit dem Highlighting und dem Einschwenken des Studios auf den zugehörigen Shitstorm zeigt das. Ich bin wie die CDU-Basis. Wegen mir dürfen Schwule in diesem Land nicht heiraten. Ich bin der Feind, gegen den ich die ganze Zeit gewettert habe. Die Kreativen haben Angst vor Leuten wie mir. Gnade mir und uns allen Gott, wenn sie sich bei Thief für diesen Terror rächen wollen. Verdient hätten wir es. Meine Hauptkritik an Deus Ex: Human Revolution geht damit also an mich selbst. Weil ich nicht losgelassen habe.
Ich habe das Spiel trotzdem zweimal mit größten Vergnügen absolviert. Ich mag es. Es nimmt in meinem Regal einen würdigen Platz ein. Und für eine neue Generation von Spielern ist es eine hervorragende Möglichkeit, in diese Franchise einzusteigen. Mit einem Vertreter, der hinter seinem wie ein Alb auf ihm lastenden Vorbild nur in wenigen Feldern zurückstehen muss. Nach dreizehn Jahren haben wir den Status quo wieder eingestellt. Mehr war vorerst
nicht drin. Macht bitte weiter, Eidos-Leute! Ihr habt Euch ausreichend bewiesen. Deus Ex gehört nicht mehr Warren Spector und uns alten Säcken. Ignoriert uns. Macht Euer Ding. Nur so kommen wir alle weiter.