Cryostasis
Teil 1 - Der letzte Benchmark-Shooter
Abends nach Geschäftsschluss, wenn draußen vor dem Schaufenster der Verkehrsstrom nachlässt und die Stadt für ein paar Stunden zur Ruhe kommt – dann langweilen sich die fabrikneuen Grafikkarten in ihren Verpackungen, die neuerdings aus recycelter Pappe bestehen. Weil das ganz doll ökologisch ist in Zeiten, wo plötzlich Stromverbrauch von Prozessoren eine Rolle spielt. Und weil sie noch nichts von der Welt gesehen haben, bitten sie die weit gereisten Vor- und Vorvorgängermodelle aus der Gebraucht-Abteilung und vom
Ersatzteillager hinten in der Werkstatt um eine Geschichte. Und um was für Einschlaf-Geschichten bitten Kinder die Erwachsenen in der Regel? Na klar, um Abenteuergeschichten! Es darf auch ruhig etwas gruselig sein! Und was könnte unter Grafikkarten wohl spannender sein als die Abenteuergeschichte von der kleinen Graka und dem bösen Benchmark-Shooter!
Früher war das immer der Bringer. Was konnte man als alter Zock-PC-Veteran den Kleinen für herrliche Geschichten erzählen! Vom bösen Unreal, vom fürchterlichen Max Payne, dem hinterhältigen Half Life 2, dem üblen Doom 3, vom gemeinen Far Cry, dem erschröcklichen FEAR. Und wenn sie dann immer noch nicht die Hosen voll hatten – dann holte man Opa aus seiner Ecke und der spann dann sein Garn vom teuflischen Crysis. Spätestens dann herrschte andächtige Stille bei den Kleinen und später im Schlaf konnte man sie hin und wieder mit ihrem Kühler rascheln hören, wenn sie davon träumten wie sie Crysis bei 50 fps
durchgängig flüssig darstellten.
In den letzten Jahren jedoch machen sich die Erwachsenen zunehmende Sorgen. Die Kinder kommen mit immer mehr Rechenleistung aus den Fabriken und sind deswegen natürlich vorlaut. Selbst mit Crysis kann man sie kaum noch beeindrucken. Doch leider fehlt es an neuem Stoff für die Gute-Nacht-Geschichte. Keiner kann sich mehr erinnern, wann er das letzte Mal so richtig übertaktet wurde. Mein Gott, Mehrkernprozessoren! Standartmäßig 1GB
Rechenleistung, DDR was weiß ich! Nach zehn Jahren wieder ein brauchbares Windows! Endlich kann der Nachwuchs all das tun, wovon man damals als man selbst noch jung war, nur träumen konnte. Euch soll es später mal besser gehen. Und nun? Nun gibt es keine Benchmark-Shooter mehr. Was soll werden? Es herrscht schon länger eine sehr gedrückte Stimmung in den Regalen des Ladens.
Auftritt: Cryostasis
Cryostasis vom ukrainischen Studio Action Forms aus dem Jahr 2008 ist der bytegewordene
Traum jedes Rechenleistungs-Fetischisten. Ihr wollt Eure vier Prozessorenkerne mal so richtig auf Trab bringen? Eure Graka soll Blut schwitzen? Framerateabfälle von 35 auf 10 fps innerhalb eines Raumes gewünscht? Ach, das reicht Euch immer noch nicht? Wie wäre es mit dem nachgereichten Patch, der die PhysX-Effekte vollständig aktiviert? Na, tut es schön weh? Gefällt Dir das, Sklave?
Abends nach Geschäftsschluss, wenn draußen vor dem Schaufenster der Verkehrsstrom nachlässt und die Stadt für ein paar Stunden zur Ruhe kommt – dann langweilen sich die fabrikneuen Grafikkarten in ihren Verpackungen, die neuerdings aus recycelter Pappe bestehen. Weil das ganz doll ökologisch ist in Zeiten, wo plötzlich Stromverbrauch von Prozessoren eine Rolle spielt. Und weil sie noch nichts von der Welt gesehen haben, bitten sie die weit gereisten Vor- und Vorvorgängermodelle aus der Gebraucht-Abteilung und vom
Ersatzteillager hinten in der Werkstatt um eine Geschichte. Und um was für Einschlaf-Geschichten bitten Kinder die Erwachsenen in der Regel? Na klar, um Abenteuergeschichten! Es darf auch ruhig etwas gruselig sein! Und was könnte unter Grafikkarten wohl spannender sein als die Abenteuergeschichte von der kleinen Graka und dem bösen Benchmark-Shooter!
Früher war das immer der Bringer. Was konnte man als alter Zock-PC-Veteran den Kleinen für herrliche Geschichten erzählen! Vom bösen Unreal, vom fürchterlichen Max Payne, dem hinterhältigen Half Life 2, dem üblen Doom 3, vom gemeinen Far Cry, dem erschröcklichen FEAR. Und wenn sie dann immer noch nicht die Hosen voll hatten – dann holte man Opa aus seiner Ecke und der spann dann sein Garn vom teuflischen Crysis. Spätestens dann herrschte andächtige Stille bei den Kleinen und später im Schlaf konnte man sie hin und wieder mit ihrem Kühler rascheln hören, wenn sie davon träumten wie sie Crysis bei 50 fps
durchgängig flüssig darstellten.
In den letzten Jahren jedoch machen sich die Erwachsenen zunehmende Sorgen. Die Kinder kommen mit immer mehr Rechenleistung aus den Fabriken und sind deswegen natürlich vorlaut. Selbst mit Crysis kann man sie kaum noch beeindrucken. Doch leider fehlt es an neuem Stoff für die Gute-Nacht-Geschichte. Keiner kann sich mehr erinnern, wann er das letzte Mal so richtig übertaktet wurde. Mein Gott, Mehrkernprozessoren! Standartmäßig 1GB
Rechenleistung, DDR was weiß ich! Nach zehn Jahren wieder ein brauchbares Windows! Endlich kann der Nachwuchs all das tun, wovon man damals als man selbst noch jung war, nur träumen konnte. Euch soll es später mal besser gehen. Und nun? Nun gibt es keine Benchmark-Shooter mehr. Was soll werden? Es herrscht schon länger eine sehr gedrückte Stimmung in den Regalen des Ladens.
Auftritt: Cryostasis
Cryostasis vom ukrainischen Studio Action Forms aus dem Jahr 2008 ist der bytegewordene
Traum jedes Rechenleistungs-Fetischisten. Ihr wollt Eure vier Prozessorenkerne mal so richtig auf Trab bringen? Eure Graka soll Blut schwitzen? Framerateabfälle von 35 auf 10 fps innerhalb eines Raumes gewünscht? Ach, das reicht Euch immer noch nicht? Wie wäre es mit dem nachgereichten Patch, der die PhysX-Effekte vollständig aktiviert? Na, tut es schön weh? Gefällt Dir das, Sklave?
Grafik war mir für mein Spielerlebnis nie zentral. Framerate- und Benchmarkdiskussionen in PC-Technik-Threads waren mir immer etwas zu wuffig. In diesem speziellen Fall jedoch kommt man nicht drum herum. Denn Cryostasis lebt als Spiel neben der guten Geschichte vor allen Dingen von seiner besonderen Atmosphäre. Und um diese genießen zu können, braucht man einen guten Spiele-PC. Nicht wegen der Grafikpracht. Schön wärs. Nein, damit es überhaupt oberhalb von Diafilmabend-Tempo läuft. Was irgendwie ein bisschen tragisch ist. Denn für alles andere reicht aktuell auch guter Durchschnitt. Cryostasis steht so verloren in der Gegend, wie der letzte Dinosaurier nach dem Einschlag des Meteors. Alle anderen sind bereits verhungert. Es ist kalt. Man will sich nur noch hinlegen. Und einschlafen. Nur ein bisschen ausruhen. Es ist traurig, der letzte Benchmark-Shooter zu sein. Da hinten lege ich mich jetzt hin. Der Schnee ist weich, wenn er auf mich fällt.
Und er sieht so schön aus. So schön.
Teil 2 - Frost
Schnee in Videospielen. Gibt es natürlich schon lange. Meine erste Begegnung war bei Tetris, denke ich. Eines der Hintergrundbilder. Bei Sonic the Hedhog gab es mit Sicherheit ein Schnee-Level. Die ganzen Winter Games - Titel natürlich. In so gut wie jedem größeren FPS gibt es bis auf den heutigen Tag eine Schnee-Map. Jedes ordentliche RPG hat irgendwo eine Ecke mit Schnee. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es sogar in Gothic I unter der Kuppel irgendwo ein Fitzelchen davon. Dann gibt es die Spiele, bei denen der Schnee ein symbolische Bedeutung bekommt. Im Finale des ersten Teils des Witchers, in der sich
zunehmend abkühlenden Welt von Fahrenheit. Die Katastrophe naht. Und dann gibt es noch die sehr seltenen Titel, in denen der Schnee zum tragenden Element der Welt wird, in dem er zu einer quasi handelnden Figur gerinnt. In The Thing hatte ich dieses Gefühl. Die Kälte und Einsamkeit des Pols, der um sich greifende Wahnsinn unter den Leuten. Ganz sicher auch im ersten Max Payne, wo der Schneesturm mit Fortschreiten der Handlung immer schlimmer
wird und Max´ zunehmendes Abgleiten in den Sumpf der ihn umgebenden Intrige zu
spiegeln scheint.
Und er sieht so schön aus. So schön.
Teil 2 - Frost
Schnee in Videospielen. Gibt es natürlich schon lange. Meine erste Begegnung war bei Tetris, denke ich. Eines der Hintergrundbilder. Bei Sonic the Hedhog gab es mit Sicherheit ein Schnee-Level. Die ganzen Winter Games - Titel natürlich. In so gut wie jedem größeren FPS gibt es bis auf den heutigen Tag eine Schnee-Map. Jedes ordentliche RPG hat irgendwo eine Ecke mit Schnee. Wenn ich mich richtig erinnere, gab es sogar in Gothic I unter der Kuppel irgendwo ein Fitzelchen davon. Dann gibt es die Spiele, bei denen der Schnee ein symbolische Bedeutung bekommt. Im Finale des ersten Teils des Witchers, in der sich
zunehmend abkühlenden Welt von Fahrenheit. Die Katastrophe naht. Und dann gibt es noch die sehr seltenen Titel, in denen der Schnee zum tragenden Element der Welt wird, in dem er zu einer quasi handelnden Figur gerinnt. In The Thing hatte ich dieses Gefühl. Die Kälte und Einsamkeit des Pols, der um sich greifende Wahnsinn unter den Leuten. Ganz sicher auch im ersten Max Payne, wo der Schneesturm mit Fortschreiten der Handlung immer schlimmer
wird und Max´ zunehmendes Abgleiten in den Sumpf der ihn umgebenden Intrige zu
spiegeln scheint.
Cryostasis setzt all dem die Krone auf. Noch nie habe ich in einem Videospiel eine so überzeugende Visualisierung von Schnee und Kälte am Bildschirm meines Monitor miterleben dürfen. Ein Stück weit war es auch absurd – draußen hat eine sibirische Kältewelle für drei Wochen ganz Europa im Griff, zugefrorene Flüsse und Küstenstreifen, meterhoher Schnee in den Bergen, länderweit ausfallende Heizsysteme, hunderte von Kältetoten. Und in meinem PC rotiert eine DVD, die mir all das gedoppelt in mein warmes Zimmer holt. Was Action Forms hier zusammengecoded hat, ist atemberaubend. Meisterhaft. Ein seit Jahren im Eis gefangener sowjetischer Atomeisbrecher. Irgendwo tief im Wrack glimmt der Rest des explodierten Reaktors. Die Mischung aus entweichender Strahlung und tödlichem Dauerfrost hat die Überlebenden des Unglücks in wahnsinnige Mutanten verwandelt. Oder sind sie alle nur Einbildung, hervorgerufen durch die Einsamkeit und die alles durchdringende Kälte in diesem stählernen Sarg, in den der Held eingedrungen ist? Unser Atem gefriert in der Luft, unsere Handschuhe überziehen sich mit funkelnden Raureif-Kristallen. Eiszapfen hängen von den niedrigen Decken und zersplittern krachend beim Öffnen von Türen in hunderte Einzelteile, die unter unseren Füßen klirren. Ganze Räume des Schiffes sind mit einer dicken Schicht aus Eis und Schnee überzogen, der immerwährende Sturm draußen in der Eishölle weht ihn durch jede sich bietende Ritze herein, durch Luken, Fenster, Bullaugen. Glitzernde Eisblumen bedecken Schotts, Gerätschaften, Armaturen. Wenn jemand noch nie den Winter in seiner schönsten aber auch grausamsten Form gesehen haben sollte, wenn er Schnee und Eis nur aus Erzählungen kennt – hier ist das Spiel, um sich einen Eindruck zu verschaffen.
Ohne Quatsch – ich hatte beim Spielen das Gefühl, dass mir sofort die Zunge festklebt, wenn ich mit ihr jetzt mal den Monitor berühre (was ich quasi ständig mache, denn ich bin ein Nerd und habe kein Leben).
Nun ist Cryostasisein Shooter. Es geht also mal wieder in den Kampf. Doch zu all den bereits erwähnten mutierten Ex-Besatzungsmitgliedern gesellt sich mit der omnipräsenten Kälte ein mindestens genauso gefährlicher Gegner. Action Forms hat sich hier etwas ziemlich
interessantes einfallen lassen: ein Healthsystem, das auf Körperwärme basiert. Klar, logisch ist das bei näherem Nachdenken nun nicht gerade: eben wurden wir mit einem MG durchlöchert – und einen Raum weiter knipsen wir eine Schreibtischlampe an und schwups sind wir geheilt. Andererseits, wer hat je behauptet, Shooter würden die Realität abbilden? Außer Prof. Pfeiffer jetzt. Nach zweimaligem Durchspielen hätte ich mir zwar gewünscht, dass mich die Kälte noch stärker unter Zugzwang setzen würde. Denn wirklich an Unterkühlung sterben kann man in Crystasis nur an einigen wenigen Stellen. Doch der Eindruck der Kälte und Verwundbarkeit stellte sich bei mir trotzdem immer wieder aufs Neue ein, wenn ich mit minimaler Körperwärme und vom eigenen, schwer gehenden Atem begleitet, entkräftet und daher meiner Sprintfähigkeit beraubt das nächste Schott aufstemmte – in der Hoffnung, hinter ihm auf eine Wärmequelle zu stoßen und nicht auf einen der Angreifer, der mich
in diesem Zustand mit einem Treffer ins Jenseits befördern würde.
Außerdem war es jedes Mal aufs Neue ein Erlebnis, zu beobachten, wie rings um mich das Eis zu schmelzen begann, wenn ich eine der Wärmequellen aktiviert hatte. Da zerrannen die Eisblumen langsam an der Wand, die Eiszapfen begannen zu tropfen und vielen schließlich krachend zu Boden, und schließlich stand ich inmitten eines vom Geräusch des die Wände herabfließenden Wassers erfüllten Raumes. Wie bereits gesagt: meisterhaft. Zumindest muss sich Action Forms nicht vorwerfen lassen, daß man ihrem Spiel nicht ansehen könne,
wofür es diese exorbitanten Rechenkraft benötigt.
Ich kann daher nur jedem, dessen Maschine über selbige verfügt dazu raten: schaut Euch das an! Lasst Euch vom Sturm beinahe schneeblind über das Oberdeck wehen. Tastet Euch durch die vor Kälte starrenden, verlassen im blauen Licht des Eises schimmernden
Mannschaftsquartiere. Und begegnet schließlich dem Eisberg selbst, der still, kalt und riesenhaft in das vom Zusammenstoß mit ihm aufgerissene Schiff ragt.
Der Mensch, klein und schwach im Schatten der übermächtigen Natur. Die älteste Geschichte überhaupt.
Teil 3 - Oh Käpt´n, mein Käpt´n, verlass mich nicht!
Ein Schiff auf hoher See. Der Kapitän. Seine Crew. Eine uralte Geschichte. Das Seemannsgarn, das sich hier spinnen lässt, reicht durch alle Weltmeere bis zurück zu den überlieferten Anfängen beinahe jeder menschlichen Kultur. Egal ob es Homers Odysseeist, die Geschichte von Noah und seiner Arche, ob es die Sagas der Wikinger sind oder die Abenteuer des neuen Raumschiffes Enterprise, das viele Lichtjahre von der Erde entfernt unterwegs ist und so weiter und so weiter durch die Jahrtausende. Ich werde auch nie vergessen wo für mich der Einstiegspunkt in diese Erzählwelt lag: Die Schatzinsel, VEB Deutsche Schallplatten, 1965. Das Kreischen der Möwen, das Knirschen der Wanten der Hispaniola, Long John Silvers Holzbein auf den Planken des Seglers. Für die Zehnjährigen von heute wird es Käpt´n Jack sein und das schwere Rollen der Kanonen der Black Pearl. Und immer weiter spult das Garn.
Wieso diese Faszination bis heute ungebrochen ist? Ich vermute es liegt auch daran, dass uns die Realität nach wie vor Futter für Geschichten gibt. Das Meer ist immer noch da und der Mensch fährt immer noch auf ihm herum. Die Geschichte der großen Entdeckungen, der Expeditionen zu den Polen, die Meuterei auf der Bounty, der Untergang der Titanic, die Gustloff, das Atom-U-Boot Kursk, die Estonia. Na klar, auch das Weltall. Der Sputnik, Apollo
13, die MIR-Station bei ihrem Verglühen in der Atmosphäre. Während ich Cryostasis spielte, beendete eine beunruhigend attraktive holländische Teenagerin ihre Weltumseglung in einem
Einmaster mit Mädchennamen und vor einer italienischen Insel lag ein gigantisches Kreuzfahrtschiff havariert auf der Seite.
All das beschäftigt seit jeher die Fantasie der Menschen und deswegen auch die Geschichten, die sie sich erzählen: auf Bildern, in Filmen, im Theater, in Büchern, Hörspielen, in der Musik. Und natürlich auch im Videospiel. Gleich mein Beginn war mit The Secret of Monkey Island klassisches Seemannsgarn. Wie schon im letzten Teil beim Schnee ist es auch dieses Mal beim Motiv oder Thema/Schauplatz Schiff schwerer, die Titel zu nennen, in denen ihm
keine wichtige Rolle zufällt als anders herum. Und erneut unterscheiden sich die Spiele im Grad, in dem sie den Schauplatz und die ihn auszeichnende, spezielle Menschengemeinschaft der Crew zum Zentrum ihrer Geschichte machen. Mir fällt da als allererstes hochatmosphärisches Beispiel natürlich System Shock 2 und die Von Braun ein. Eine Spielergeneration später wird es vermutlich Dead Space sein oder die Normandy in Mass Effect. Was vor allen an den ersten beiden Titeln interessant ist – sie rücken ein wichtiges Untergenre der Seemannsgeschichte in den Mittelpunkt: die Geisterschiff-Geschichte. Vom Fliegenden Holländer bis zur Event Horizon – das einsame, scheinbar verlassene Schiff, auf dem das Böse mitfährt, das unter einem schrecklichen Fluch stehend mit blutroten Segeln am
Horizont erscheint, auf dem eine tote Mannschaft ihrer Erlösung nach grauenhafter Tat harrt – huh, wie schaudert es da die Landratten! „Die Geschichte von dem Gespensterschiff“ von Wilhelm Hauff passt hier wunderbar. Und sie ist interessant, weil sie mit Cryostasis etwas gemeinsam hat: in beiden Geschichten erreicht ein Held ein Schiff voller nur scheinbar Toter. Bei Hauff ist es ein Segler, auf dessen Deck die hingemordete Mannschaft herumliegt und dessen Kapitän jemand mit einem Nagel durch die Stirn an den Mastbaum geheftet hat. Und in Cryostasis ist es ein im Eis gestrandeter Eisbrecher, dessen Mannschaft der Frost scheinbar
in Wahnsinn und Tod getrieben hat. In beiden Fällen werden die Leute nur allzu rasch lebendig. Und in beiden Fällen können wir sie am Ende erlösen – ein Aspekt klassischer Gespenstergeschichten, der in der Regel in Horror-Settings im Videospiel selten eine Rolle spielt.
Es gibt noch einen zweiten Erzählstrang, der hier unbedingt Erwähnung finden muss: der Kapitän. In jeder ernstzunehmenden Seefahrtsgeschichte spielt der Kapitän eine, wenn nicht die zentrale Rolle. Das gilt für sämtliche Star Trek – Franchises. Das galt für Kapitän Nemo und seine Nautilus. Odysseus – ein Käpt´n. Natürlich Kapitän Blaubär. Besonders faszinierend sind dabei die „Borderline“ – Kapitäne. Einsame, vom Leben auf See hart gewordene Männer, immer scharf an der Grenze zum Soziopathen. Der Seewolf. Kapitän Ahab. Auch der Eisbrecher Nordwind, der Schauplatz von Cryostasis steht unter dem Kommando eines solchen einsamen Wolfes, den mit seinem Schiff die verzweifelte Liebe eines alten Mannes verbindet, der nichts anderes mehr im Leben hat. Und dann begeht dieser Mann einen fatalen Fehler.
Ohne Quatsch – ich hatte beim Spielen das Gefühl, dass mir sofort die Zunge festklebt, wenn ich mit ihr jetzt mal den Monitor berühre (was ich quasi ständig mache, denn ich bin ein Nerd und habe kein Leben).
Nun ist Cryostasisein Shooter. Es geht also mal wieder in den Kampf. Doch zu all den bereits erwähnten mutierten Ex-Besatzungsmitgliedern gesellt sich mit der omnipräsenten Kälte ein mindestens genauso gefährlicher Gegner. Action Forms hat sich hier etwas ziemlich
interessantes einfallen lassen: ein Healthsystem, das auf Körperwärme basiert. Klar, logisch ist das bei näherem Nachdenken nun nicht gerade: eben wurden wir mit einem MG durchlöchert – und einen Raum weiter knipsen wir eine Schreibtischlampe an und schwups sind wir geheilt. Andererseits, wer hat je behauptet, Shooter würden die Realität abbilden? Außer Prof. Pfeiffer jetzt. Nach zweimaligem Durchspielen hätte ich mir zwar gewünscht, dass mich die Kälte noch stärker unter Zugzwang setzen würde. Denn wirklich an Unterkühlung sterben kann man in Crystasis nur an einigen wenigen Stellen. Doch der Eindruck der Kälte und Verwundbarkeit stellte sich bei mir trotzdem immer wieder aufs Neue ein, wenn ich mit minimaler Körperwärme und vom eigenen, schwer gehenden Atem begleitet, entkräftet und daher meiner Sprintfähigkeit beraubt das nächste Schott aufstemmte – in der Hoffnung, hinter ihm auf eine Wärmequelle zu stoßen und nicht auf einen der Angreifer, der mich
in diesem Zustand mit einem Treffer ins Jenseits befördern würde.
Außerdem war es jedes Mal aufs Neue ein Erlebnis, zu beobachten, wie rings um mich das Eis zu schmelzen begann, wenn ich eine der Wärmequellen aktiviert hatte. Da zerrannen die Eisblumen langsam an der Wand, die Eiszapfen begannen zu tropfen und vielen schließlich krachend zu Boden, und schließlich stand ich inmitten eines vom Geräusch des die Wände herabfließenden Wassers erfüllten Raumes. Wie bereits gesagt: meisterhaft. Zumindest muss sich Action Forms nicht vorwerfen lassen, daß man ihrem Spiel nicht ansehen könne,
wofür es diese exorbitanten Rechenkraft benötigt.
Ich kann daher nur jedem, dessen Maschine über selbige verfügt dazu raten: schaut Euch das an! Lasst Euch vom Sturm beinahe schneeblind über das Oberdeck wehen. Tastet Euch durch die vor Kälte starrenden, verlassen im blauen Licht des Eises schimmernden
Mannschaftsquartiere. Und begegnet schließlich dem Eisberg selbst, der still, kalt und riesenhaft in das vom Zusammenstoß mit ihm aufgerissene Schiff ragt.
Der Mensch, klein und schwach im Schatten der übermächtigen Natur. Die älteste Geschichte überhaupt.
Teil 3 - Oh Käpt´n, mein Käpt´n, verlass mich nicht!
Ein Schiff auf hoher See. Der Kapitän. Seine Crew. Eine uralte Geschichte. Das Seemannsgarn, das sich hier spinnen lässt, reicht durch alle Weltmeere bis zurück zu den überlieferten Anfängen beinahe jeder menschlichen Kultur. Egal ob es Homers Odysseeist, die Geschichte von Noah und seiner Arche, ob es die Sagas der Wikinger sind oder die Abenteuer des neuen Raumschiffes Enterprise, das viele Lichtjahre von der Erde entfernt unterwegs ist und so weiter und so weiter durch die Jahrtausende. Ich werde auch nie vergessen wo für mich der Einstiegspunkt in diese Erzählwelt lag: Die Schatzinsel, VEB Deutsche Schallplatten, 1965. Das Kreischen der Möwen, das Knirschen der Wanten der Hispaniola, Long John Silvers Holzbein auf den Planken des Seglers. Für die Zehnjährigen von heute wird es Käpt´n Jack sein und das schwere Rollen der Kanonen der Black Pearl. Und immer weiter spult das Garn.
Wieso diese Faszination bis heute ungebrochen ist? Ich vermute es liegt auch daran, dass uns die Realität nach wie vor Futter für Geschichten gibt. Das Meer ist immer noch da und der Mensch fährt immer noch auf ihm herum. Die Geschichte der großen Entdeckungen, der Expeditionen zu den Polen, die Meuterei auf der Bounty, der Untergang der Titanic, die Gustloff, das Atom-U-Boot Kursk, die Estonia. Na klar, auch das Weltall. Der Sputnik, Apollo
13, die MIR-Station bei ihrem Verglühen in der Atmosphäre. Während ich Cryostasis spielte, beendete eine beunruhigend attraktive holländische Teenagerin ihre Weltumseglung in einem
Einmaster mit Mädchennamen und vor einer italienischen Insel lag ein gigantisches Kreuzfahrtschiff havariert auf der Seite.
All das beschäftigt seit jeher die Fantasie der Menschen und deswegen auch die Geschichten, die sie sich erzählen: auf Bildern, in Filmen, im Theater, in Büchern, Hörspielen, in der Musik. Und natürlich auch im Videospiel. Gleich mein Beginn war mit The Secret of Monkey Island klassisches Seemannsgarn. Wie schon im letzten Teil beim Schnee ist es auch dieses Mal beim Motiv oder Thema/Schauplatz Schiff schwerer, die Titel zu nennen, in denen ihm
keine wichtige Rolle zufällt als anders herum. Und erneut unterscheiden sich die Spiele im Grad, in dem sie den Schauplatz und die ihn auszeichnende, spezielle Menschengemeinschaft der Crew zum Zentrum ihrer Geschichte machen. Mir fällt da als allererstes hochatmosphärisches Beispiel natürlich System Shock 2 und die Von Braun ein. Eine Spielergeneration später wird es vermutlich Dead Space sein oder die Normandy in Mass Effect. Was vor allen an den ersten beiden Titeln interessant ist – sie rücken ein wichtiges Untergenre der Seemannsgeschichte in den Mittelpunkt: die Geisterschiff-Geschichte. Vom Fliegenden Holländer bis zur Event Horizon – das einsame, scheinbar verlassene Schiff, auf dem das Böse mitfährt, das unter einem schrecklichen Fluch stehend mit blutroten Segeln am
Horizont erscheint, auf dem eine tote Mannschaft ihrer Erlösung nach grauenhafter Tat harrt – huh, wie schaudert es da die Landratten! „Die Geschichte von dem Gespensterschiff“ von Wilhelm Hauff passt hier wunderbar. Und sie ist interessant, weil sie mit Cryostasis etwas gemeinsam hat: in beiden Geschichten erreicht ein Held ein Schiff voller nur scheinbar Toter. Bei Hauff ist es ein Segler, auf dessen Deck die hingemordete Mannschaft herumliegt und dessen Kapitän jemand mit einem Nagel durch die Stirn an den Mastbaum geheftet hat. Und in Cryostasis ist es ein im Eis gestrandeter Eisbrecher, dessen Mannschaft der Frost scheinbar
in Wahnsinn und Tod getrieben hat. In beiden Fällen werden die Leute nur allzu rasch lebendig. Und in beiden Fällen können wir sie am Ende erlösen – ein Aspekt klassischer Gespenstergeschichten, der in der Regel in Horror-Settings im Videospiel selten eine Rolle spielt.
Es gibt noch einen zweiten Erzählstrang, der hier unbedingt Erwähnung finden muss: der Kapitän. In jeder ernstzunehmenden Seefahrtsgeschichte spielt der Kapitän eine, wenn nicht die zentrale Rolle. Das gilt für sämtliche Star Trek – Franchises. Das galt für Kapitän Nemo und seine Nautilus. Odysseus – ein Käpt´n. Natürlich Kapitän Blaubär. Besonders faszinierend sind dabei die „Borderline“ – Kapitäne. Einsame, vom Leben auf See hart gewordene Männer, immer scharf an der Grenze zum Soziopathen. Der Seewolf. Kapitän Ahab. Auch der Eisbrecher Nordwind, der Schauplatz von Cryostasis steht unter dem Kommando eines solchen einsamen Wolfes, den mit seinem Schiff die verzweifelte Liebe eines alten Mannes verbindet, der nichts anderes mehr im Leben hat. Und dann begeht dieser Mann einen fatalen Fehler.
Man sieht es schon, Action Forms begibt sich hier erzählerisch in ganz schwere See. Was mir beim Spielen dabei ausnehmend gut gefiel war die Tatsache, dass es auf der Nordwind
keine Bösewichter im herkömmlichen Sinn gibt. Klar, in einem Shooter schießt man auf Zeugs. Das ist in Cryostasis auch nicht anders. Aber hier muss nicht zum xten Mal die Welt gerettet werden. Oder eine Alien-Invasion zurückgeschlagen werden. Keine durchgeknallten
Wissenschaftler, keine Terroristen, keine Nazis, keine bösen Jungs. Nur die durch einen Unfall ins Unglück gestürzte, ganz ihren menschlichen Impulsen unterworfene Crew eines Schiffes und die übermächtigen Kräfte einer todbringenden Natur. Das ist im Shooterbereich eine Perspektivverschiebung hin zum „Normalen“, die mit Blick auf das hier sonst Übliche einen wohltuenden neuen Akzent setzt. In der Präsentation der Geschichte setzt sich das fort: war
es beim Schnee die Körperwärme, die als Ersatz für das herkömmliche Healthmanagement implementiert wurde, so bekommt dieses Mal der Held von den Entwicklern die Fähigkeit des „mentalen Echos“ spendiert. Das Ganze funktioniert wie eine Art Zoom in die Vergangenheit: treffen wir auf eines der tödlich verunglückten Crewmitglieder, „beamen“ wir uns in dessen Kopf und durchleben seine letzten Momente noch einmal. So stehen wir beispielsweise tief
im Bauch des Schiffes in einem sich langsam mit eisigem Meerwasser füllenden Gang. Das Schott vor uns ist verrammelt und einer der Hebel zum Öffnen fehlt. Finden wir schnell genug Ersatz und gelingt es uns daher, die Tür zu öffnen, geht es zurück in die Gegenwart des Helden. Die Leiche des verunglückten Matrosen ist verschwunden – dafür hat sich der Durchgang in den nächsten Bereich geöffnet. Action Forms schlägt hier erzählerisch mehrere Fliegen mit einer Klappe. Zunächst bieten die Ausflüge in die Vergangenheit Abwechslung vom gängigen Shooteralltag, denn gekämpft wird in ihnen nur ausgesprochen selten.
Hin und wieder kommt in ihnen beinahe etwas vom Zeitdruck-Feeling eines Fahrenheit auf. Darüber hinaus bilden die Rückblicke in den Moment der Katastrophe emotionale Brücken zum Schicksal der Menschen an Bord, die für mich jedes Mal ein Höhepunkt des Spielerlebnisses waren. Wie oft ist man als Spieler bereits nachdem alles vorbei war durch
schweigsame Levelkorridore spaziert, in denen es nach Tod und Verzweiflung roch. Stellt Euch vor, Ihr würdet nicht bloß einfach den Logbucheintrag eines längst verstorbenen Technikers der Von Braun hören. Nein, plötzlich könntet Ihr seinen finalen Todeskampf
miterleben und sogar den Tod des NPC´s verhindern. Hinterher klingt es nahe liegend wie kaum etwas. Aber vor Action Forms ist (meines Wissens) keiner auf diesen Einfall gekommen. Genial. Und weil sie wussten, was für ein cleveres Plotelement sie da entwickelt hatten, nutzen die Ukrainer ihre Idee, um uns auf der Nordwind einige spielerische Momente zu kredenzen, die für mich zum Eindrucksvollsten gehören, was ich als Videospieler bisher erlebt habe. Allein wegen dieses Features lohnt sich der Blick in dieses Spiel. Wir werden uns vom Kiel des Schiffes bis hinauf zur Brücke arbeiten, um Baustein für Baustein die
Katastrophe auf der Nordwind ungeschehen zu machen. Erst ganz zum Schluss werden wir alle Zusammenhänge verstanden haben, werden wir begriffen haben, was die Crew zusammenhält und warum der Kapitän so handeln musste, wie er handelte. Wir werden auch sein Schicksal ändern. Das Eis wird uns frei geben. Die Nordwind, auf der die Zeit angehalten wurde, wird wieder Fahrt aufnehmen. Und uns mit einem Storyparadox zurücklassen. Unter anderem.
Teil 4 - Seemansgarn
Kritik an Cryostasis. Wie beginnen? Zunächst möchte ich noch einmal betonen, dass das Spiel vor allem atmosphärisch sehr viel mehr richtig macht als falsch. Beispielsweise habe ich noch nicht erwähnt, dass es überhaupt keine Ingame-Musik gibt. Was eine sehr vernünftige Entscheidung ist, weil so das Toben der Natur und die unheilvolle Stille des eisigen Schiffes
eine oftmals mehr als klaustrophobische Stimmung erzeugen. In Reviews des Spiels wird ja immer wieder behauptet, Cryostasis orientiere sich an Bioshock. Ich halte das für einen Irrtum– und das ist ein Glück für Bioshock, denn was die überzeugende und konsequente Umsetzung des gewählten Settings angeht, wischen Action Forms und ihr Eisbrecher mit Irrational und seiner Unterwasserstadt den Fußboden auf. Aber so was von. Nein, für mich ist als Vorbild das hier bereits erwähnte System Shock 2 um einiges nahe liegender.
Allerdings ist die Nordwind nicht die Von Braun. Und damit meine ich nicht einmal die Ausmaße des Schiffes. Na klar gibt es auf einem sowjetischen Atomeisbrecher der 1960er Jahre kein Hydroponik-Deck. Und auch keine Shoppingmall. Action Forms legt in seiner Arbeit bei diesem Spiel bis in kleine Details eine unglaubliche Sorgfalt an den Tag (man sehe sich nur einmal in Ruhe den wunderschönen Titel-Screen an). Ich bin mir sicher, dass sie für die Levelgestaltung auf Original-Baupläne zurückgegriffen haben. Vielleicht haben sie beim Reaktorraum ein bisschen ausgeschmückt (Ukrainer haben nun mal eine Schwäche für Reaktoren …). Ansonsten ist dieser Haufen vereister Stahl ein sehr realistisch wirkender vereister Haufen Stahl. Leitern, Treppen, enge Durchgänge, kleine Räume, Schotts, Rohre, Steuerpulte. Die Nordwind ist eng, verwinkelt, dunkel. Alles ist seiner Funktion untergeordnet, nirgends gibt es schmückende Details. Reine Technik. Nur kurz vor Schluss in den Quartieren der Offiziere und im Bordkino blitzt kurz einmal etwas wie Abwechslung auf. Die Nordwind, man muss es leider sagen, ist ziemlich trist. Auch das Eis und der Schnee kann nicht darüber hinweg täuschen, dass man sich ein bisschen zu langweilen beginnt, wenn man mehr als drei Level am Stück spielt. Das ist zwar in Anbetracht des gewählten Settings nachvollziehbar und es nötigt mir einen gewissen Respekt ab, wie konsequent man hier gewesen ist. Ich plädiere daher aber auch an dieser Stelle dafür, dieses Spiel in dosierter Form zu sich zu nehmen. Die 15 Level sind was die Größe angeht sehr überschaubar. Noch dazu sind sie streng linear. Man ist in knapp zehn Stunden durch das Spiel durch – was ich hier gar nicht kritisieren möchte, da es auch im Neuzustand als Midprice-Titel verkauft wurde. Einen besonders großen Wiederspielwert gibt es eigentlich nicht, höchstens, um sich die Geschichte und alle Hinweise noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Es gibt auch keinen wählbaren Schwierigkeitsgrad, keine KI, die sich situativ beim zweiten Durchlauf anders verhält. Man genieße die Reise solange sie dauert. Und lasse sich Zeit.
keine Bösewichter im herkömmlichen Sinn gibt. Klar, in einem Shooter schießt man auf Zeugs. Das ist in Cryostasis auch nicht anders. Aber hier muss nicht zum xten Mal die Welt gerettet werden. Oder eine Alien-Invasion zurückgeschlagen werden. Keine durchgeknallten
Wissenschaftler, keine Terroristen, keine Nazis, keine bösen Jungs. Nur die durch einen Unfall ins Unglück gestürzte, ganz ihren menschlichen Impulsen unterworfene Crew eines Schiffes und die übermächtigen Kräfte einer todbringenden Natur. Das ist im Shooterbereich eine Perspektivverschiebung hin zum „Normalen“, die mit Blick auf das hier sonst Übliche einen wohltuenden neuen Akzent setzt. In der Präsentation der Geschichte setzt sich das fort: war
es beim Schnee die Körperwärme, die als Ersatz für das herkömmliche Healthmanagement implementiert wurde, so bekommt dieses Mal der Held von den Entwicklern die Fähigkeit des „mentalen Echos“ spendiert. Das Ganze funktioniert wie eine Art Zoom in die Vergangenheit: treffen wir auf eines der tödlich verunglückten Crewmitglieder, „beamen“ wir uns in dessen Kopf und durchleben seine letzten Momente noch einmal. So stehen wir beispielsweise tief
im Bauch des Schiffes in einem sich langsam mit eisigem Meerwasser füllenden Gang. Das Schott vor uns ist verrammelt und einer der Hebel zum Öffnen fehlt. Finden wir schnell genug Ersatz und gelingt es uns daher, die Tür zu öffnen, geht es zurück in die Gegenwart des Helden. Die Leiche des verunglückten Matrosen ist verschwunden – dafür hat sich der Durchgang in den nächsten Bereich geöffnet. Action Forms schlägt hier erzählerisch mehrere Fliegen mit einer Klappe. Zunächst bieten die Ausflüge in die Vergangenheit Abwechslung vom gängigen Shooteralltag, denn gekämpft wird in ihnen nur ausgesprochen selten.
Hin und wieder kommt in ihnen beinahe etwas vom Zeitdruck-Feeling eines Fahrenheit auf. Darüber hinaus bilden die Rückblicke in den Moment der Katastrophe emotionale Brücken zum Schicksal der Menschen an Bord, die für mich jedes Mal ein Höhepunkt des Spielerlebnisses waren. Wie oft ist man als Spieler bereits nachdem alles vorbei war durch
schweigsame Levelkorridore spaziert, in denen es nach Tod und Verzweiflung roch. Stellt Euch vor, Ihr würdet nicht bloß einfach den Logbucheintrag eines längst verstorbenen Technikers der Von Braun hören. Nein, plötzlich könntet Ihr seinen finalen Todeskampf
miterleben und sogar den Tod des NPC´s verhindern. Hinterher klingt es nahe liegend wie kaum etwas. Aber vor Action Forms ist (meines Wissens) keiner auf diesen Einfall gekommen. Genial. Und weil sie wussten, was für ein cleveres Plotelement sie da entwickelt hatten, nutzen die Ukrainer ihre Idee, um uns auf der Nordwind einige spielerische Momente zu kredenzen, die für mich zum Eindrucksvollsten gehören, was ich als Videospieler bisher erlebt habe. Allein wegen dieses Features lohnt sich der Blick in dieses Spiel. Wir werden uns vom Kiel des Schiffes bis hinauf zur Brücke arbeiten, um Baustein für Baustein die
Katastrophe auf der Nordwind ungeschehen zu machen. Erst ganz zum Schluss werden wir alle Zusammenhänge verstanden haben, werden wir begriffen haben, was die Crew zusammenhält und warum der Kapitän so handeln musste, wie er handelte. Wir werden auch sein Schicksal ändern. Das Eis wird uns frei geben. Die Nordwind, auf der die Zeit angehalten wurde, wird wieder Fahrt aufnehmen. Und uns mit einem Storyparadox zurücklassen. Unter anderem.
Teil 4 - Seemansgarn
Kritik an Cryostasis. Wie beginnen? Zunächst möchte ich noch einmal betonen, dass das Spiel vor allem atmosphärisch sehr viel mehr richtig macht als falsch. Beispielsweise habe ich noch nicht erwähnt, dass es überhaupt keine Ingame-Musik gibt. Was eine sehr vernünftige Entscheidung ist, weil so das Toben der Natur und die unheilvolle Stille des eisigen Schiffes
eine oftmals mehr als klaustrophobische Stimmung erzeugen. In Reviews des Spiels wird ja immer wieder behauptet, Cryostasis orientiere sich an Bioshock. Ich halte das für einen Irrtum– und das ist ein Glück für Bioshock, denn was die überzeugende und konsequente Umsetzung des gewählten Settings angeht, wischen Action Forms und ihr Eisbrecher mit Irrational und seiner Unterwasserstadt den Fußboden auf. Aber so was von. Nein, für mich ist als Vorbild das hier bereits erwähnte System Shock 2 um einiges nahe liegender.
Allerdings ist die Nordwind nicht die Von Braun. Und damit meine ich nicht einmal die Ausmaße des Schiffes. Na klar gibt es auf einem sowjetischen Atomeisbrecher der 1960er Jahre kein Hydroponik-Deck. Und auch keine Shoppingmall. Action Forms legt in seiner Arbeit bei diesem Spiel bis in kleine Details eine unglaubliche Sorgfalt an den Tag (man sehe sich nur einmal in Ruhe den wunderschönen Titel-Screen an). Ich bin mir sicher, dass sie für die Levelgestaltung auf Original-Baupläne zurückgegriffen haben. Vielleicht haben sie beim Reaktorraum ein bisschen ausgeschmückt (Ukrainer haben nun mal eine Schwäche für Reaktoren …). Ansonsten ist dieser Haufen vereister Stahl ein sehr realistisch wirkender vereister Haufen Stahl. Leitern, Treppen, enge Durchgänge, kleine Räume, Schotts, Rohre, Steuerpulte. Die Nordwind ist eng, verwinkelt, dunkel. Alles ist seiner Funktion untergeordnet, nirgends gibt es schmückende Details. Reine Technik. Nur kurz vor Schluss in den Quartieren der Offiziere und im Bordkino blitzt kurz einmal etwas wie Abwechslung auf. Die Nordwind, man muss es leider sagen, ist ziemlich trist. Auch das Eis und der Schnee kann nicht darüber hinweg täuschen, dass man sich ein bisschen zu langweilen beginnt, wenn man mehr als drei Level am Stück spielt. Das ist zwar in Anbetracht des gewählten Settings nachvollziehbar und es nötigt mir einen gewissen Respekt ab, wie konsequent man hier gewesen ist. Ich plädiere daher aber auch an dieser Stelle dafür, dieses Spiel in dosierter Form zu sich zu nehmen. Die 15 Level sind was die Größe angeht sehr überschaubar. Noch dazu sind sie streng linear. Man ist in knapp zehn Stunden durch das Spiel durch – was ich hier gar nicht kritisieren möchte, da es auch im Neuzustand als Midprice-Titel verkauft wurde. Einen besonders großen Wiederspielwert gibt es eigentlich nicht, höchstens, um sich die Geschichte und alle Hinweise noch einmal in Ruhe durch den Kopf gehen zu lassen. Es gibt auch keinen wählbaren Schwierigkeitsgrad, keine KI, die sich situativ beim zweiten Durchlauf anders verhält. Man genieße die Reise solange sie dauert. Und lasse sich Zeit.
Zumindest unterstützt einen das Spiel bei diesem Vorhaben nach Kräften – denn es ist derartig langsam, dass man das Gefühl hat, man stecke beim Spielen selbst in der zentimeterdicken Polarforscher-Kluft des Helden. Der Performance-Hunger tut hier sein Übriges – bei mir fing das Spiel regelmäßig nach ca. anderthalb Stunden an, massiv zu laggen und die Bildwiedergabe rutschte in den Keller, so dass ich die Sitzung beenden musste. Ein schönes Feature, um die Sache auch wirklich langsam anzugehen. Daher
empfehle ich so man eine Nvidea-Karte sein Eigen nennt sehr die Installation des PhysX-Patches. Zwar benötigt man um diesen voll auszunutzen mindestens Vista als Betriebssystem. Aber auch unter XP ergänzt er die Räume sehr schön um zusätzliche Objekte und weitere Wasser- und Physikeffekte. Viel wichtiger ist aber, dass nach seiner Installation die Framerate spürbar nach oben geht und das ganze Spiel viel stabiler ist. Aber trotzdem – ein Sprinter wird Cryostasis nicht mehr. Und auch unser Held nicht. Das ist einerseits nicht weiter schlimm, weil es auf der Norwind eh kaum Platz für längere Sprints gibt. Aber andererseits muss man ja hier auch kämpfen.
Und damit wären wir beim ersten wirklichen Kritikpunkt angelangt. Action Forms wollte hier scheinbar einen Survival/Horror Shooter präsentieren. Die Munition ist spärlich gesät. Das ist schon mal gut. Die (pro Level insgesamt von der Stückzahl her eher spärlichen) Gegner tauchen ausgesprochen selten in Gruppen auf, die mehr als ein Paar umfassen (worüber man mit Blick auf den Rechenhunger der Engine nur froh sein kein) und sehr oft sind sie auch solo unterwegs. Damit wird der Fokus auf den Kampf Mann gegen Mann gelegt. Auch richtig. Nur leider ist dieser Kampf uninteressant, weil klobig und zu einfach. Im ersten Drittel besitzt man noch keine Schusswaffe und es geht im Nahkampf mit Schlagwaffen zur Sache. In Condemned kann man sehen, wie so etwas gut designed auszusehen hat. In Cryostasis sieht man, wie man es falsch macht. Und leider wird es auch nicht besser, wenn man dann Schusswaffen besitzt. Es ist ja folgerichtig, dass diese sich aufgrund der Temperaturen langsam und umständlich bedienen lassen. Dass sie aber noch dazu keine überzeugende Durchschlagskraft besitzen, sodass selbst ein Volltreffer mit dem Snipergewehr nicht zum sofortigen Ableben des virtuellen Gegenübers führt, ist ärgerlich. Da hilft es mir auch nicht wirklich, dass ich durch das Scope des Gewehrs jederzeit eine optisch korrekt berechnete, nahtlos abspulende Nahansicht der Umgebung erhaschen kann, auch wenn ich das Gewehr
nicht im Anschlag halte. Das ist optisch zwar ungeheuer beeindruckend. Aber unter dem Strich hätte ich trotzdem lieber Spaß beim Kämpfen gehabt. Um es ganz deutlich zu sagen – ich hatte diesen nicht. Das Problem ist dabei auch weniger, dass die KI nicht besonders viel hermacht. Immerhin geht man auf der anderen Seite auch mal in Deckung. Aber sie verursacht äquivalent zu mir zu wenig Schaden und trifft mich auch aus nächster Nähe scheinbar nur in 50 Prozent der Fälle. Was nützt es mir, wenn die Designer mein Gegenüber wie es sich gehört böse grollend aus der Dunkelheit mit der Axt auf mich einschlagen lassen, so dass ich kurz zusammenzucke, wenn mich der Schlag dann nicht sofort erledigt? So wird das mit dem Horror und der Angst vor der nächsten Ecke im Levelschlauch nix. Cryostasis ist leider insgesamt auf der Kampfseite zu einfach und eintönig. Da nutzen auch die mitunter
gelungenen Erschreck-Dich-Scripts nicht viel. Ein einziges Mal gab es in einem mentalen Echo mal eine Schießerei, die fordernd war – allerdings dann beinahe schon wieder ins Unfaire kippte. Und zwei ziemlich unpassende Bosskämpfe sind noch zu erwähnen, wo es mal etwas hektisch wird. Unter dem Strich macht also nicht die Beengtheit der räumlichen Verhältnisse den Vergleich von Cryostasis und System Shock 2 für Action Forms zu einer unschönen Angelegenheit. Nein, es ist das auf Grundlage der Kämpfe ausbleibende Gefühl der Gefahr, dass hier das Bild trübt (zumindest in dem Punkt ist man dann mit Bioshock wieder im
selben Boot).
empfehle ich so man eine Nvidea-Karte sein Eigen nennt sehr die Installation des PhysX-Patches. Zwar benötigt man um diesen voll auszunutzen mindestens Vista als Betriebssystem. Aber auch unter XP ergänzt er die Räume sehr schön um zusätzliche Objekte und weitere Wasser- und Physikeffekte. Viel wichtiger ist aber, dass nach seiner Installation die Framerate spürbar nach oben geht und das ganze Spiel viel stabiler ist. Aber trotzdem – ein Sprinter wird Cryostasis nicht mehr. Und auch unser Held nicht. Das ist einerseits nicht weiter schlimm, weil es auf der Norwind eh kaum Platz für längere Sprints gibt. Aber andererseits muss man ja hier auch kämpfen.
Und damit wären wir beim ersten wirklichen Kritikpunkt angelangt. Action Forms wollte hier scheinbar einen Survival/Horror Shooter präsentieren. Die Munition ist spärlich gesät. Das ist schon mal gut. Die (pro Level insgesamt von der Stückzahl her eher spärlichen) Gegner tauchen ausgesprochen selten in Gruppen auf, die mehr als ein Paar umfassen (worüber man mit Blick auf den Rechenhunger der Engine nur froh sein kein) und sehr oft sind sie auch solo unterwegs. Damit wird der Fokus auf den Kampf Mann gegen Mann gelegt. Auch richtig. Nur leider ist dieser Kampf uninteressant, weil klobig und zu einfach. Im ersten Drittel besitzt man noch keine Schusswaffe und es geht im Nahkampf mit Schlagwaffen zur Sache. In Condemned kann man sehen, wie so etwas gut designed auszusehen hat. In Cryostasis sieht man, wie man es falsch macht. Und leider wird es auch nicht besser, wenn man dann Schusswaffen besitzt. Es ist ja folgerichtig, dass diese sich aufgrund der Temperaturen langsam und umständlich bedienen lassen. Dass sie aber noch dazu keine überzeugende Durchschlagskraft besitzen, sodass selbst ein Volltreffer mit dem Snipergewehr nicht zum sofortigen Ableben des virtuellen Gegenübers führt, ist ärgerlich. Da hilft es mir auch nicht wirklich, dass ich durch das Scope des Gewehrs jederzeit eine optisch korrekt berechnete, nahtlos abspulende Nahansicht der Umgebung erhaschen kann, auch wenn ich das Gewehr
nicht im Anschlag halte. Das ist optisch zwar ungeheuer beeindruckend. Aber unter dem Strich hätte ich trotzdem lieber Spaß beim Kämpfen gehabt. Um es ganz deutlich zu sagen – ich hatte diesen nicht. Das Problem ist dabei auch weniger, dass die KI nicht besonders viel hermacht. Immerhin geht man auf der anderen Seite auch mal in Deckung. Aber sie verursacht äquivalent zu mir zu wenig Schaden und trifft mich auch aus nächster Nähe scheinbar nur in 50 Prozent der Fälle. Was nützt es mir, wenn die Designer mein Gegenüber wie es sich gehört böse grollend aus der Dunkelheit mit der Axt auf mich einschlagen lassen, so dass ich kurz zusammenzucke, wenn mich der Schlag dann nicht sofort erledigt? So wird das mit dem Horror und der Angst vor der nächsten Ecke im Levelschlauch nix. Cryostasis ist leider insgesamt auf der Kampfseite zu einfach und eintönig. Da nutzen auch die mitunter
gelungenen Erschreck-Dich-Scripts nicht viel. Ein einziges Mal gab es in einem mentalen Echo mal eine Schießerei, die fordernd war – allerdings dann beinahe schon wieder ins Unfaire kippte. Und zwei ziemlich unpassende Bosskämpfe sind noch zu erwähnen, wo es mal etwas hektisch wird. Unter dem Strich macht also nicht die Beengtheit der räumlichen Verhältnisse den Vergleich von Cryostasis und System Shock 2 für Action Forms zu einer unschönen Angelegenheit. Nein, es ist das auf Grundlage der Kämpfe ausbleibende Gefühl der Gefahr, dass hier das Bild trübt (zumindest in dem Punkt ist man dann mit Bioshock wieder im
selben Boot).
Die erwähnten Bosskämpfe mit zwei aufgesetzt wirkenden Spinnenmonstern bringen mich zu meinem zweiten großen Kritikpunkt. Wenn ich ein Buch schreibe, sei es ein Roman oder auch für Bühne und Leinwand – dann sollte ich mit meiner Erstfassung einen Lektor aufsuchen. Irgendwie stehen die Jungs von Action Forms nicht auf Lektoren. Bereits im Vorgänger Vivisector passte einiges nicht so recht ineinander. Bei Cryostasis setzt sich das nun auf höherem Niveau fort. Das wäre alles nicht so schlimm, wenn es sich um einen Trash-Titel wie Übersoldier oder Kreed handeln würde. Aber hier soll wirklich etwas erzählt werden. Und hier wird auch wirklich etwas erzählt. Ein klassisches Abenteuer kommt zur Aufführung. Man spürt überall Begabung und den Willen zur großen Erzählung. Deswegen ist man kleinen Fehlern und Inkonsistenzen gegenüber umso ungnädiger – und Cryostasis bietet davon einige.
Das fängt grundsätzlich damit an, dass ich bis heute nicht genau weiß, wie viele Erzählebenen dieses Spiel eigentlich hat. „Hey, das ist postmodern!“, mag man da rufen. Schon. Aber ich habe den leisen Verdacht, dass es so nicht gemeint war. Cryostasisbietet zwei sich widersprechende Einstiegsgeschichten. In beiden Fällen wird als Hauptfigur
Alexander Nestorov eingeführt. Auf der Rückseite der Spielhülle wird er als Spezialist bezeichnet, den man 1981 an den Pol schickt, um das dort seit Jahren gestrandete Wrack zu untersuchen (wieso erst nach so langer Zeit…). Im Spielhandbuch hingegen ist er ein Meteorologe, der am Ende seines Forschungsaufenthaltes ebenfalls im Jahr 1981 von einem Eisbrecher abgeholt werden soll. Doch anstelle des wartenden Schiffes trifft er am vereinbarten Punkt auf die offensichtlich schon seit Jahren hier fest hängende Nordwind. Wie kann das sein, wo ihn dieses Schiff doch eigentlich abholen sollte? Damit ist die Verwirrung aber noch längst nicht beendet. Gleich zu Beginn des Spiels erleben wir als mentales Echo Alexanders Ankunft an der Nordwind, die mit einem Einbruch in eine Gletscherspalte endet. Gerade so davon gekommen, finden wir neben uns ein Telegram, welches an uns am 24.3.1968 geschickt wurde und in dem steht, dass die Nordwind auf uns wartet. Wie kann es dann aber 1981 sein? Und wie können wir Alexander Nestorov sein? Dann hätten wir uns ja in unser eigenes mentales Echo zurückbegeben. Aber das würde dann doch bedeuten, dass wir tot sind? Wer hat dann bitte aber das Echo von Nestorov ausgelöst? Falls nun aber doch das Szenario von der Rückseite der Hülle stimmt – müssten wir dann nicht eine ungenannte zweite Person und eben nicht Nestorov sein?
Cryostasis trägt den Untertitel „Sleep of reason“. Da ist was dran. Eigentlich ist dieses
Erzählstrang-Kuddelmuddel nur mit eingeschlafenem Logiksinn zu verdauen. Auf der Nordwind geht es dann munter weiter. Unten im Maschinenraum treffen wir kurz auf einen scheinbar Überlebenden. Wenn es 1981 ist und wir sind nicht Nestorov – wie konnte der
Mann seit 1968 überleben zwischen all den Durchgedrehten? Wenn es 1968 ist – wieso sieht das restliche Schiff aus, als ob es hier bereits seit Jahren liegt, und wie konnten alle anderen über Nacht zu Mutanten werden? Wer hat die Fakeln und Feuer auf der Nordwind angezündet, und wieso brennen sie immer noch? Was sollen all diese Monster und Freaks, die wir bekämpfen in diesem Setting? Wie sind sie entstanden? Was sollen diese zwei Spinnenbosse? Ist es wirklich plausibel anzunehmen, dass der Kapitän eines sowjetischen Atomeisbrechers in der Stunde seines Todes aus der Bibel zitiert? Wieso läuft im menschenleeren Mannschaftsschlafsaal ein Grammophon? Was macht ein Grammophon überhaupt in diesem Setting? So toll die Szene im Kinosaal auch ist – wie soll das überhaupt funktionieren? Ah, mein Kopf!
Immer wieder beschlich mich beim Spielen darüber hinaus der Eindruck, dass hier bei der Symbolsprache mit Action Forms öfter mal die Pferde durchgegangen sind. Mitunter wirkte das etwas selbstzweckhaft auf mich. Eine blau schimmernde Eiskugel hängt in vereisten Seilen in einem Raum. Ja, ich habe verstanden. Eine Welt aus Eis. Sehr tiefsinnig, danke. Ein, zweimal läuft uns eine Gestalt mit schwarzer Kapuze in einer an F.E.A.R.s Alma gemahnenden Sequenz über den Weg. Ja, sieht toll aus. Aber was soll das bitte? Ganz zu Beginn erstmal ein Hesse-Zitat auf den Screen stellen. Kann man machen. Und dann gibt es ja noch die erzählte Parallelhandlung von Danko und seinem Stamm auf der Flucht in einem feindlichen Wald. Nach Maxim Gorki. Schön gezeichnete Sequenzen, gute Sprecherin. Allegorie auf die Situation der Mannschaft und des Kapitäns. Schon klar. Nicht schlecht. Aber wieso erzählt sich mir diese Geschichte über in der Welt verteilte Fotografien, in die ich mich
beim Betrachten einzoome? Wer hat sie da für mich hinterlassen? So eine ähnliche Idee hattet ihr schon in Vivisector, und auch da wirkte es merkwürdig deplaziert.
Was ich hier also kritisiere, ist, dass dieses extrem immersive, unglaublich atmosphärische Spiel mit zuviel erzählerischem Brimborium behängt wurde. Das ist alles für sich genommen nicht schlecht. Im Zusammenspiel geht es aber nicht richtig auf und holt mich immer wieder aus der Immersion heraus, weil ich mir verdutzt den Kopf kratzen muss, was das nun gerade wohl wieder soll. Hier hat eindeutig jemand gefehlt, der immer mal wieder vernehmlich „Nein!“ gesagt hat. Ein Lektor eben. Ich bin dann während des Spiels irgendwann an den Punkt gekommen, zu sagen, dass es hier keine stringente, plausible Erzählstruktur gibt. Mit dieser Einsicht konnte ich mich dann einlassen. Ein Shooter, dessen Plot nicht komplett zu verstehen ist – das muss man auch erstmal schaffen. Immerhin hatte ich so einen Ansporn, die Sache ein zweites Mal durchzuspielen – ohne dass ich danach komplett durchgestiegen wäre. Aber allein wegen der wunderbaren und ebenfalls völlig paradoxen Endallegorie der
Handlung und dem wunderschönen Schlussbild wenn der Abspann über den Bildschirm läuft, lohnte es sich.
Nun habe ich mich doch ganz schön lange aufgeregt. Dabei mag ich das Spiel trotz der vielen Unstimmigkeiten sehr. Cryostasis steht seit diesem Februar nach You are empty und dem ersten S.T.A.L.K.E.R.auf dem dritten Platz meines Ukraine-Siegertreppchens. Irgendetwas haben die Jungs da drüben. Action Forms waren 2008 auf dem Weg zu etwas sehr Besonderem. Schade, dass das Studio dem PC den Rücken gekehrt hat und heute für die iOS coded. Ich kann nur hoffen, dass sie dort ihr erzählerisches Talent nicht schleifen lassen müssen. Denn das Potenzial für etwas ganz Großartiges ist eindeutig vorhanden. Bis es soweit ist, empfehle ich Cryostasis von ganzem Herzen jedem am Ungewöhnlichen interessierten Videospieler. Hier wurden tatsächlich einmal neue Wege beschritten. Sehenswert!
Das fängt grundsätzlich damit an, dass ich bis heute nicht genau weiß, wie viele Erzählebenen dieses Spiel eigentlich hat. „Hey, das ist postmodern!“, mag man da rufen. Schon. Aber ich habe den leisen Verdacht, dass es so nicht gemeint war. Cryostasisbietet zwei sich widersprechende Einstiegsgeschichten. In beiden Fällen wird als Hauptfigur
Alexander Nestorov eingeführt. Auf der Rückseite der Spielhülle wird er als Spezialist bezeichnet, den man 1981 an den Pol schickt, um das dort seit Jahren gestrandete Wrack zu untersuchen (wieso erst nach so langer Zeit…). Im Spielhandbuch hingegen ist er ein Meteorologe, der am Ende seines Forschungsaufenthaltes ebenfalls im Jahr 1981 von einem Eisbrecher abgeholt werden soll. Doch anstelle des wartenden Schiffes trifft er am vereinbarten Punkt auf die offensichtlich schon seit Jahren hier fest hängende Nordwind. Wie kann das sein, wo ihn dieses Schiff doch eigentlich abholen sollte? Damit ist die Verwirrung aber noch längst nicht beendet. Gleich zu Beginn des Spiels erleben wir als mentales Echo Alexanders Ankunft an der Nordwind, die mit einem Einbruch in eine Gletscherspalte endet. Gerade so davon gekommen, finden wir neben uns ein Telegram, welches an uns am 24.3.1968 geschickt wurde und in dem steht, dass die Nordwind auf uns wartet. Wie kann es dann aber 1981 sein? Und wie können wir Alexander Nestorov sein? Dann hätten wir uns ja in unser eigenes mentales Echo zurückbegeben. Aber das würde dann doch bedeuten, dass wir tot sind? Wer hat dann bitte aber das Echo von Nestorov ausgelöst? Falls nun aber doch das Szenario von der Rückseite der Hülle stimmt – müssten wir dann nicht eine ungenannte zweite Person und eben nicht Nestorov sein?
Cryostasis trägt den Untertitel „Sleep of reason“. Da ist was dran. Eigentlich ist dieses
Erzählstrang-Kuddelmuddel nur mit eingeschlafenem Logiksinn zu verdauen. Auf der Nordwind geht es dann munter weiter. Unten im Maschinenraum treffen wir kurz auf einen scheinbar Überlebenden. Wenn es 1981 ist und wir sind nicht Nestorov – wie konnte der
Mann seit 1968 überleben zwischen all den Durchgedrehten? Wenn es 1968 ist – wieso sieht das restliche Schiff aus, als ob es hier bereits seit Jahren liegt, und wie konnten alle anderen über Nacht zu Mutanten werden? Wer hat die Fakeln und Feuer auf der Nordwind angezündet, und wieso brennen sie immer noch? Was sollen all diese Monster und Freaks, die wir bekämpfen in diesem Setting? Wie sind sie entstanden? Was sollen diese zwei Spinnenbosse? Ist es wirklich plausibel anzunehmen, dass der Kapitän eines sowjetischen Atomeisbrechers in der Stunde seines Todes aus der Bibel zitiert? Wieso läuft im menschenleeren Mannschaftsschlafsaal ein Grammophon? Was macht ein Grammophon überhaupt in diesem Setting? So toll die Szene im Kinosaal auch ist – wie soll das überhaupt funktionieren? Ah, mein Kopf!
Immer wieder beschlich mich beim Spielen darüber hinaus der Eindruck, dass hier bei der Symbolsprache mit Action Forms öfter mal die Pferde durchgegangen sind. Mitunter wirkte das etwas selbstzweckhaft auf mich. Eine blau schimmernde Eiskugel hängt in vereisten Seilen in einem Raum. Ja, ich habe verstanden. Eine Welt aus Eis. Sehr tiefsinnig, danke. Ein, zweimal läuft uns eine Gestalt mit schwarzer Kapuze in einer an F.E.A.R.s Alma gemahnenden Sequenz über den Weg. Ja, sieht toll aus. Aber was soll das bitte? Ganz zu Beginn erstmal ein Hesse-Zitat auf den Screen stellen. Kann man machen. Und dann gibt es ja noch die erzählte Parallelhandlung von Danko und seinem Stamm auf der Flucht in einem feindlichen Wald. Nach Maxim Gorki. Schön gezeichnete Sequenzen, gute Sprecherin. Allegorie auf die Situation der Mannschaft und des Kapitäns. Schon klar. Nicht schlecht. Aber wieso erzählt sich mir diese Geschichte über in der Welt verteilte Fotografien, in die ich mich
beim Betrachten einzoome? Wer hat sie da für mich hinterlassen? So eine ähnliche Idee hattet ihr schon in Vivisector, und auch da wirkte es merkwürdig deplaziert.
Was ich hier also kritisiere, ist, dass dieses extrem immersive, unglaublich atmosphärische Spiel mit zuviel erzählerischem Brimborium behängt wurde. Das ist alles für sich genommen nicht schlecht. Im Zusammenspiel geht es aber nicht richtig auf und holt mich immer wieder aus der Immersion heraus, weil ich mir verdutzt den Kopf kratzen muss, was das nun gerade wohl wieder soll. Hier hat eindeutig jemand gefehlt, der immer mal wieder vernehmlich „Nein!“ gesagt hat. Ein Lektor eben. Ich bin dann während des Spiels irgendwann an den Punkt gekommen, zu sagen, dass es hier keine stringente, plausible Erzählstruktur gibt. Mit dieser Einsicht konnte ich mich dann einlassen. Ein Shooter, dessen Plot nicht komplett zu verstehen ist – das muss man auch erstmal schaffen. Immerhin hatte ich so einen Ansporn, die Sache ein zweites Mal durchzuspielen – ohne dass ich danach komplett durchgestiegen wäre. Aber allein wegen der wunderbaren und ebenfalls völlig paradoxen Endallegorie der
Handlung und dem wunderschönen Schlussbild wenn der Abspann über den Bildschirm läuft, lohnte es sich.
Nun habe ich mich doch ganz schön lange aufgeregt. Dabei mag ich das Spiel trotz der vielen Unstimmigkeiten sehr. Cryostasis steht seit diesem Februar nach You are empty und dem ersten S.T.A.L.K.E.R.auf dem dritten Platz meines Ukraine-Siegertreppchens. Irgendetwas haben die Jungs da drüben. Action Forms waren 2008 auf dem Weg zu etwas sehr Besonderem. Schade, dass das Studio dem PC den Rücken gekehrt hat und heute für die iOS coded. Ich kann nur hoffen, dass sie dort ihr erzählerisches Talent nicht schleifen lassen müssen. Denn das Potenzial für etwas ganz Großartiges ist eindeutig vorhanden. Bis es soweit ist, empfehle ich Cryostasis von ganzem Herzen jedem am Ungewöhnlichen interessierten Videospieler. Hier wurden tatsächlich einmal neue Wege beschritten. Sehenswert!