Alois Nebel - Die Autoren
Jaroslav Rudiš ist der derzeit wohl bekannteste und meistübersetzte tschechische Schriftsteller seiner Generation. Er wurde 1972 im nordböhmischen Turnov geboren. Bereits sein Studium absolvierte er zum Teil in Berlin und pendelt bis heute zwischen Tschechien und Deutschland. Dies gilt gewissermaßen auch für sein Werk, dessen Sujets seit dem Debüt "Nebe pod Berlinem" 2002 immer wieder die Alltags- und Geschichtswelten beider Länder miteinander in Berührung bringen. Er knüpft damit an die 1938 gewaltsam abgerissenen mehrsprachigen literarischen Traditionen Böhmens an und transferiert sie in den neuen mitteleuropäischen Kontext. Sein aktueller Roman "Národní třída", der tief in die Gedankenwelt eines tschechischen Angst- und Wutbürgers eintaucht, erfährt zurzeit in Deutschland viel Aufmerksamkeit. Rudiš ist auch als Drehbuchautor und Dramatiker erfolgreich und seit vielen Jahren in unterschiedlichen Bandprojekten tätig.
Jaromír Švejdík wurde 1963 in Jeseník im Altvatergebirge geboren. Als Punk war er bis zur Samtenen Revolution genötigt, sich als Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten durchzuschlagen. Nach 1989 war er u.a. Mitbegründer der Band Priessnitz. Seit einem Umzug nach Prag widmet er sich aber vermehrt seinem zeichnerischen Talent und veröffentlicht unter dem Pseudonym Jaromír 99 Comicstrips. Dabei hat er einen prägnanten, von starken Kontrasten geprägten Schwarz-Weiß-Stil entwickelt. Mit Rudiš arbeitete er erstmals 2003 an "Alois Nebel" zusammen. Derzeit stehen die beiden in Deutschland und Tschechien mit ihrer Kafka Band auf der Bühne, die Kafkas "Schloss" musikalisch adaptiert und mit Animationsfilmen von Jaromír 99 unterlegt. 2016 erschien mit "Zátopek" seine neueste Graphic Novel.
Jaromír Švejdík wurde 1963 in Jeseník im Altvatergebirge geboren. Als Punk war er bis zur Samtenen Revolution genötigt, sich als Hilfs- und Gelegenheitsarbeiten durchzuschlagen. Nach 1989 war er u.a. Mitbegründer der Band Priessnitz. Seit einem Umzug nach Prag widmet er sich aber vermehrt seinem zeichnerischen Talent und veröffentlicht unter dem Pseudonym Jaromír 99 Comicstrips. Dabei hat er einen prägnanten, von starken Kontrasten geprägten Schwarz-Weiß-Stil entwickelt. Mit Rudiš arbeitete er erstmals 2003 an "Alois Nebel" zusammen. Derzeit stehen die beiden in Deutschland und Tschechien mit ihrer Kafka Band auf der Bühne, die Kafkas "Schloss" musikalisch adaptiert und mit Animationsfilmen von Jaromír 99 unterlegt. 2016 erschien mit "Zátopek" seine neueste Graphic Novel.
Alois Nebel - Der Stoff
Die Graphic Novel "Alois Nebel" erschien ursprünglich als dreiteilige Reihe in den Jahren 2003 bis 2005. 2006 wurden die drei Einzelbände zu einer viel beachteten Gesamtausgabe vereinigt. Übersetzungen folgten 2008 ins Polnische, 2012 ins Deutsche und 2013 ins Französische. Eine sorbische Übersetzung steht bisher noch aus, wäre aber wünschenswert, wie generell die Stoffe Jaroslav Rudišs mit Blick auf jüngere Leserkreise eine interessante Ergänzung des sorbischen Buchmarktes sein könnten. 2011 erfuhr "Alois Nebel" unter der Regie von Tomáš Luňák seine Umsetzung als Animationsfilm. Er feierte weltweit Festivalerfolge, war der tschechische Vorschlag des Jahres 2012 für den Auslands-Oscar und erhielt im selben Jahr den Europäischen Filmpreis als bester Animationsfilm.
"Alois Nebel" schildert in der Hauptfigur des gleichnamigen Stationswärters des abgelegenen Bahnhalts Bílý potok im Altvatergebirge die Zeit des tschechischen Systemwechsels 1989. Dem einsamen, gutmütigen Nebel erscheinen auf den Gleisen an seinem Posten immer wieder die europäischen Gespenster des gewaltsamen 20. Jahrhunderts – Züge mit Soldaten, Gefangenen, Vertriebenen. Er wird darüber verrückt, strandet nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie obdachlos auf dem Prager Hauptbahnhof, um im Finale ins Gebirge zurück zu kehren, wo Liebe aber auch Tod, Vergeltung und Erlösung auf die verschiedenen Figuren der Erzählung warten. In "Alois Nebel" tritt die Konflikt beladene deutsch-tschechische Geschichte in aller Wucht auf die Bühne. Rudiš geht hier erzählerisch den Weg weiter, den Jáchym Topol in den 1990er Jahren bereitet hat. Aber auch Bohumil Hrabal muss hier genannt werden. Seit seinem "Ostře sledované vlaky" von 1964 gab es im Eisenbahnland Tschechien keine größere Liebeserklärung an den Schienenstrang und seine Menschen.
"Alois Nebel" schildert in der Hauptfigur des gleichnamigen Stationswärters des abgelegenen Bahnhalts Bílý potok im Altvatergebirge die Zeit des tschechischen Systemwechsels 1989. Dem einsamen, gutmütigen Nebel erscheinen auf den Gleisen an seinem Posten immer wieder die europäischen Gespenster des gewaltsamen 20. Jahrhunderts – Züge mit Soldaten, Gefangenen, Vertriebenen. Er wird darüber verrückt, strandet nach einem Aufenthalt in der Psychiatrie obdachlos auf dem Prager Hauptbahnhof, um im Finale ins Gebirge zurück zu kehren, wo Liebe aber auch Tod, Vergeltung und Erlösung auf die verschiedenen Figuren der Erzählung warten. In "Alois Nebel" tritt die Konflikt beladene deutsch-tschechische Geschichte in aller Wucht auf die Bühne. Rudiš geht hier erzählerisch den Weg weiter, den Jáchym Topol in den 1990er Jahren bereitet hat. Aber auch Bohumil Hrabal muss hier genannt werden. Seit seinem "Ostře sledované vlaky" von 1964 gab es im Eisenbahnland Tschechien keine größere Liebeserklärung an den Schienenstrang und seine Menschen.
Der Vulkan in uns
Das Theater Görlitz-Zittau bringt "Alois Nebel" in deutscher Uraufführung auf die Bühne
Man sollte zum Besuch von "Alois Nebel" mit der Bahn nach Zittau anreisen. Noch verkehren hier von Görlitz herauf Züge. Dieser Zustand muss im autoverliebten Sachsen erfahrungsgemäß nicht von Dauer sein – also besser jede sich bietende Chance nutzen. Das Stück ist "Ein Eisenbahnerblues aus dem Altvatergebirge", und die stiefmütterliche Behandlung dieses einst so stolzen Verkehrsmittels ist eine seiner Strophen. Der landschaftlich vielleicht schönste Streckenabschnitt der Oberlausitz ist aber auch aus einem anderen Grund die richtige Einstimmung. Denn hinter Hagenwerder geht es bis Hirschfelde auf die jenseitige Neißeseite. Beim Bau der Strecke 1875 konnte niemand ahnen, dass sie dadurch ab 1945 für einige Kilometer die Grenze nach Polen überqueren würde und der Ostritzer Bahnhof sich nun plötzlich im Ausland befindet. Das Jahr 1945 steht am Ende eines zivilisatorischen Bruchs in Europa. Die seit damals klaffenden Wunden heilen nur sehr langsam. Es ist das europäische Eisenbahnnetz, das aus der Zeit vor diesem Bruch noch herüberragt und uns die damals gewaltsam durchtrennten Linien und zerschnittenen Räume unseres Kontinentes vor Augen führt. "Alois Nebel" ist eine historische Spurensuche in diesem Netz und zugleich eine Auseinandersetzung mit dem deutsch-tschechischen Anteil seiner Zertrennung und dem Schmerz, der auf sie bis heute folgt. Erzählt aus tschechischer Perspektive – ohne Selbstschonung und ohne bequem Täter-Opfer-Zuschreibungen einseitig entlang von Volkszugehörigkeiten zu verteilen. Denn so einfach waren die Dinge auch im Altvatergebirge in der Regel nicht.
"Alois Nebel" verhandelt keine leichte Thematik. Es geht um verdrängte Schuld und die Traumata, die aus ihr erwachsen. Aber Rudišs von den Geistern der Geschichte heimgesuchter Bahnwärter steht auch in der Tradition von Hašeks Schwejk oder den "Pábitelé" Hrabals. Alois liebt es also zu erzählen und dabei, immer mit dem Fokus auf seine geliebte Welt der Eisenbahn, Anekdoten "kleiner Leute" mit der "großen Geschichte" zu einem eng verwobenen Puzzle zu verknüpfen. In der Graphic Novel finden sich bei aller Schwere und Gewalt so immer wieder auch hellere, spielerisch-charmante und tief poetische Momente. Für den Film haben Rudiš und Jaromír 99 diesen Stoff stark gestrafft, Nebel deutlich schweigsamer gemacht und die Geschichte auf ihren Grundkonflikt hin zugespitzt. Er ist dadurch düsterer als das Buch. Die Zittauer Inszenierung von Stefan Wolfram (Regie) und Gerhard Herfeldt (Dramaturgie) verbindet nun diesen narrativen Ansatz des Films mit dem zugänglicheren, redseligen Alois Nebel des Comics. Viele schöne Geschichten halten so wieder Einzug in die noch immer sehr dramatische Handlung. Besonders zentral war den Autoren für ihre Adaption dabei der folgende geschichtsphilosophische Satz Nebels, der an diesem Abend mehrfach fällt: "Schlechtes schlummert in uns wie in einem Vulkan, und da Vulkane von Zeit zu Zeit ausbrechen müssen, sollten wir über das, was uns quält, auch sprechen, damit der Vulkan nicht so oft speien muss."
Tilo Werner gibt seinen Nebel zunächst leise und suchend, als eine Figur, die erst durch das Erinnern und das Reden darüber im Sinn dieses Satzes an Festigkeit gewinnt. Zu Beginn fällt es ihr daher schwer, sich gegen die laute Dominanz der anderen Figuren, allen voran Klaus Beyer als sehr stark polternder Stationsarbeiter Wachek, zu behaupten. Dadurch entsteht aber auch eine Intimität zum quasi auf der Bühne platzierten Publikum, die bis zum zweiten Akt eine große Vertrautheit zu Nebel aufbauen hilft. Diese gipfelt in einem wunderschönen Moment, in dem er buchstäblich inmitten der Zuschauer sein rührendes Rendezvous mit Květa (Patricia Hachtel), der Toilettenfrau des Prager Hauptbahnhofs, erlebt. Einer von mehreren in Erinnerung bleibenden Höhepunkten dieser intensiven hundertminütigen, klugen aber auch fordernden Inszenierung, mit der das Theater Görlitz-Zittau der Oberlausitz eines der Theaterhighlights der Saison beschert. Ihre Figuren, ob sie nun Erlösung erfahren, die Liebe finden oder an ihrer Schuld zerbrechen, bleiben noch bei einem wenn man schon längst wieder im letzten Zug zurück nach Bautzen sitzt.
"Alois Nebel" verhandelt keine leichte Thematik. Es geht um verdrängte Schuld und die Traumata, die aus ihr erwachsen. Aber Rudišs von den Geistern der Geschichte heimgesuchter Bahnwärter steht auch in der Tradition von Hašeks Schwejk oder den "Pábitelé" Hrabals. Alois liebt es also zu erzählen und dabei, immer mit dem Fokus auf seine geliebte Welt der Eisenbahn, Anekdoten "kleiner Leute" mit der "großen Geschichte" zu einem eng verwobenen Puzzle zu verknüpfen. In der Graphic Novel finden sich bei aller Schwere und Gewalt so immer wieder auch hellere, spielerisch-charmante und tief poetische Momente. Für den Film haben Rudiš und Jaromír 99 diesen Stoff stark gestrafft, Nebel deutlich schweigsamer gemacht und die Geschichte auf ihren Grundkonflikt hin zugespitzt. Er ist dadurch düsterer als das Buch. Die Zittauer Inszenierung von Stefan Wolfram (Regie) und Gerhard Herfeldt (Dramaturgie) verbindet nun diesen narrativen Ansatz des Films mit dem zugänglicheren, redseligen Alois Nebel des Comics. Viele schöne Geschichten halten so wieder Einzug in die noch immer sehr dramatische Handlung. Besonders zentral war den Autoren für ihre Adaption dabei der folgende geschichtsphilosophische Satz Nebels, der an diesem Abend mehrfach fällt: "Schlechtes schlummert in uns wie in einem Vulkan, und da Vulkane von Zeit zu Zeit ausbrechen müssen, sollten wir über das, was uns quält, auch sprechen, damit der Vulkan nicht so oft speien muss."
Tilo Werner gibt seinen Nebel zunächst leise und suchend, als eine Figur, die erst durch das Erinnern und das Reden darüber im Sinn dieses Satzes an Festigkeit gewinnt. Zu Beginn fällt es ihr daher schwer, sich gegen die laute Dominanz der anderen Figuren, allen voran Klaus Beyer als sehr stark polternder Stationsarbeiter Wachek, zu behaupten. Dadurch entsteht aber auch eine Intimität zum quasi auf der Bühne platzierten Publikum, die bis zum zweiten Akt eine große Vertrautheit zu Nebel aufbauen hilft. Diese gipfelt in einem wunderschönen Moment, in dem er buchstäblich inmitten der Zuschauer sein rührendes Rendezvous mit Květa (Patricia Hachtel), der Toilettenfrau des Prager Hauptbahnhofs, erlebt. Einer von mehreren in Erinnerung bleibenden Höhepunkten dieser intensiven hundertminütigen, klugen aber auch fordernden Inszenierung, mit der das Theater Görlitz-Zittau der Oberlausitz eines der Theaterhighlights der Saison beschert. Ihre Figuren, ob sie nun Erlösung erfahren, die Liebe finden oder an ihrer Schuld zerbrechen, bleiben noch bei einem wenn man schon längst wieder im letzten Zug zurück nach Bautzen sitzt.