Zugspitztour im Sommer 2008
Das war eine schöne Tour. Die für mich mit großer Unsicherheit begann. Am Donnerstag wollte ich mich mit Andries in Garmisch-Partenkirchen auf dem Bahnsteig treffen. Und am Montag wachte ich in Berlin mit einer Vorahnung von Halsschmerzen und Erkältung auf. Schöner Mist, sollte bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr eine fest geplante Tour wegen einer Erkältung meinerseits platzen? Was war los mit der Zugspitze, 2007 mussten wir die geplante Besteigung wegen eines Bewerbungsgesprächstermins von mir, der dann kurzfristig von diesen gottlosen Dresdenern (Brückenbauer elendige…) abgesagt wurde, schon einmal aufschieben. Nein, dieses Jahr sollte es sein, da oben schmelzen die Gletscher und wenn wir uns nicht ranhalten, ist der Berg noch nackt. Also zwei Tage strenge Bettruhe, begleitet von den panischer werdenden Anrufen meiner Mutter, die jeden Tag neue Horrorberichte über die beiden erfrorenen Extrembergläufer auf der Zugspitze vom Wochenende zuvor durch den Hörer mahnte.
Und dann tatsächlich, noch etwas wacklig auf den Beinen und misstrauisch in sich hineinlauschend, finde ich mich an besagtem Donnerstag gegen 14:00 Uhr auf besagtem Bahnsteig, und der Andries entsteigt dem Zug. Das Wetter ist auch noch so ein Thema diesmal. Feiner Niesel verhüllt das Tal von GP, die Berge könnten genauso gut hunderte Kilometer weit weg sein, obwohl sie laut Karte das Siedlungskonglomerat eng umstellen, die Partnach wälzt sich als reißendes Wildbachungetüm Hochwasser führend durch die Ortschaft und in dem italienischen Feinkostladen, in dem ich den Vormittag wartend verbracht habe (da Anfahrt mit dem Nachtzug von Berlin aus), hatten sie mir schon mal ein paar Alternativen im Bereich um 1000 Höhenmeter aufgezählt, die auch absolut sehenswert wären, ehrlich. Aber dann laufen wir wirklich und tatsächlich los und mit dem Laufen vergehen die nagenden Zweifel und bald haben wir in dichtester Nebelbrühe die ersten 600 Höhenmeter gemacht. Am Bayerischen Haus freuen wir uns über die Tafel mit der Erklärung des Alpenpanoramas, dass sich irgendwo da draußen befinden soll und danach kommen noch mal ein paar hundert Meter Anstieg über Wege, die wir eigentlich nicht nutzen dürfen, weil hier im Sommer die verzweifelte Wintersportwirtschaft versucht, mit schwerem Gerät die Hänge schneekanonentauglich zu machen, für die winterurlaubernden Russen, die hier nach Andries Kenntnisstand in Scharen auftreten sollen. Im Nebel heulen schwere Sechsachser und Bagger die Hänge hoch und runter und wir schleichen uns über lehmige Pisten, die einst Almwege waren weiter bergan und sind plötzlich irgendwie auch froh, dass wir das ganze Elend nicht sehen können. Oben, auf 1700 Metern am Kreuzeckhaus reißt es vor uns tatsächlich mal kurz auf und wir erahnen schemenhaft die Alpspitze, an der wir morgen Klettersteigerfahrung sammeln wollen. Das gibt Hoffnung und zufrieden beziehen wir hier unser Nachtquartier und an der Essensausgabe klaue ich noch einen Löffel, weil ich den nämlich in Berlin vergessen habe. Andries duscht, ich warte damit – ein Fehler, wenn man so will, die nächsten beiden Bauden bieten nur Waschbecken mit kaltem Wasser – was ich aber jetzt noch nicht weiß. Nachts werde ich vom Schnarchen eines Sachsen im Matratzenlager wach und wünsche ihm Schlechtes.
Der nächste Morgen bringt tatsächlich erste Wolkenlücken und die Alpspitze ist schon fast zur ehrfurchtgebietenden Gänze zu sehen. Schnell erreichen wir auf 2100 Metern die Bergstation der Kreuzeck-Bahn. Und nun können wir schon das Tal sehen, richtig Bergpanorama und mit einem Tag Verspätung stellt sich das lang vermisste Berggefühl wieder ein und irgendwie ist alles richtig. Wenig nach uns erreicht auch der verschnarchte Sachse mit seinen beiden Kumpels unseren Standtort und nach ein wenig Smalltalk stellt sich heraus, dass sie die haargenau gleiche Tour wie wir planen und ich bin froh, dass ich noch ein paar Oropaxe von der Großglockner-Tour übrig und bei mir habe. Und dann geht’s los, die Alpspitze ist inzwischen unverhüllt und zum Greifen nah, reichlich 500 Meter steiler Fels trennen uns vom Gipfelkreuz, das sich unterdessen tatsächlich gegen den strahlend blauen Himmel abzeichnet. Der Klettersteig war im Vorfeld als Einsteigerübungsplatz charakterisiert worden – und das stimmte. Sehr viel Metall im Fels, sodass wir lange auf das Anlegen des Sicherungssets verzichten und einfach so die Wand hochklettern. Erst unterhalb des Gipfelgrates haken wir uns mehr zur psychologischen Unterstützung ein paar Mal ein. In Richtung Höllental fällt der Berg unfassbar steil und tief ab, ein grausiger, schöner Abgrund. Da beruhigen die beiden Karabiner im Drahtseil, und wenig später stehen wir oben auf dem gewaltigen Gebirgseckpfeiler. Ein schöner Berg, ganz klar und eigentlich ein absolut vollwertiges Ziel – aber morgen wartet die Zugspitze, die wolkenverhangen hinter uns nur zu erahnen ist. Ihren Gletscher sieht man, und dass er sehr steil ist, sieht man auch. Mir wird bewusst, dass es jetzt 1300 Meter tief in diesen furchtbaren Abgrund da hinuntergeht und morgen 1600 Meter da hinten ganz am Ende wieder aus ihm hinauf. Plötzlich spür ich meine Knie und mir schwant Böses. Ich schiebe den Gedanken an womögliche Überforderung weit von mir und tapere Andries hinterher, der schon damit begonnen hat, dem Grat in Richtung Grieskarscharte zu folgen. Wir merken schnell, dass hier mehr Konzentration als beim Aufstieg gefragt ist. Bodenlose Abgründe zu beiden Seiten und im Vergleich zu eben recht spärlich angebrachte Sicherungen. Andries genügt der Thrill noch nicht ganz und er nutzt das erste sich bietende Minischneefeld, um einige Schneebälle nach mir zu schmeißen. Mir fällt wieder ein, dass es immer auch seine Schattenseiten hat, mit ihm mehrere Tage lang im Gebirge allein unterwegs zu sein – und dass ich das bei jedem neuen Berg immer wieder aufs Neue lernen muss.
An der Scharte, am tiefsten Punkt des Grates sehen wir drüben auf der anderen Seite gerade den Schnarcher and his friends die letzte Gipfelsteigung in Angriff nehmen. Ich winke hin, er winkt zurück. Die Schnellsten sind sie ja nicht, denke ich so bei mir. Doch jetzt volle Aufmerksamkeit dem Steig. Es geht über einen steil abfallenden Pfeiler mächtig abwärts ins Mathaisenkar hinunter, senkrechte Hänge ringsumher und wüste Schotterhalden tief unter uns und immer noch gerade mal genug Tritte in der Strecke, dass es eben so geht. Das Sicherungsset wird ordentlich benutzt und ich bin einige Hundert Meter lang viel zu beschäftigt, um an meine Knie zu denken. Doch dann kommt der Talboden in Sicht und mit ihm schmerzen die Knorpel mehr und mehr, und als wir den Schotter erreichen, befehle ich Andries, stehen zu bleiben, denn er hat meine Bergstöcke hinten am Rucksang hängen und ohne die gehe ich jetzt keinen Schritt mehr und überhaupt ist es wieder so schlimm wie damals in der Tatra, wozu jogge ich eigentlich in Scheiß-Berlin durch den Beton, das kann ja morgen noch heiter werden. Andries sagt, ich solle kleinere Schritte machen. Mach ich. Hilft. Ich humple ihm hinterdrein durch das wilde, im Nachmittagsdämmerlicht liegende Tal. Der Himmel hat sich wieder zugezogen. Wir suchen die Wand hinter uns nach den drei Relaxten ab und irgendwann sehen wir sie, oben am Grad und ich bin ein wenig fassungslos. Haben die da oben auf dem Gipfel gegrillt und ein Nickerchen gemacht, oder was. Die müssen noch die ganze Wand runter, bei dem Tempo kommen die, wenn überhaupt, im Dunkeln in der Hütte an. Wir befinden, dass sie sich zu morgen wohl etwas werden steigern müssen und wenden uns wieder unserem Geschäft zu. Unterdessen sind wir am oberen Rand des Höllentals angelangt, ein tiefes, dunkles, grünes V in den Bergen. Gegenüber stürzt sich ein mächtiger Wasserfall aus dem Berg donnernd in die Tiefe. Alles sehr beeindruckend. Der Talabschluss mit dem Höllentalferner und der Zugspitze oben drüber sieht brutal aus von hier und ich halte meinen Knien die Augen zu und erzähle ihnen lieber nichts von den morgigen Plänen. Immer weiter und weiter hinunter, unterdessen regnet es auch wieder. Na, die werden Spaß haben, da oben hinter uns. Wir sorgen uns etwas und ich schäme mich für meine bösen Wünsche aus der Nacht zuvor.
Dann sind wir an der Hütte. Im ersten Moment denke ich, dass noch keine zuvor so malerisch gelegen war, wie diese. Drinnen ist es ziemlich voll, man merkt, dass sich hier unten alles sammelt, was morgen die Zugspitze hoch will. Wir machen gleich Meldung, dass da noch drei kommen werden, die ganz schön langsam sind. Der Baudenwirt wirkt nicht sehr besorgt und macht launige Bemerkungen darüber, dass man in den Bergen halt wissen muss, worauf man sich einlässt. Auch sonst herrscht in der Höllentalangerhütte ein rauer Ton. An den Wänden im Matratzenlager steht „Maul halten“ in Frakturschrift. Wirkt ein bisschen wie eine Kulisse in „Return to Castle Wolfenstein“. Draußen kochen wir dann unser allabendliches Zeugs auf dem Kocher und beobachten versonnen die Bergschafe. Bei unserem anschließenden freien Assoziieren über die idealen Eigenschaften eines Leitschafes und seine womögliche Intelligenz kommen wir nicht auf einen Nenner und alles ist wie immer. Dann wird es allmählich dunkel, der Sachse trudelt entspannt mit seinen beiden Begleitern ein, meine Knie fühlen sich beim Treppensteigen unterdessen wieder ganz passabel an und wir sacken noch ein bisschen im Schankraum ab. Und noch vor allen anderen ab in den Schlafsack, Oropaxe rein, ausruhen. Aber ist nicht. Unter uns (Doppelstockbett) nächtigt eine Horde britische Bergsteigerskins, die den Abend über am Nachbartisch schon ausgiebig dem Bier zugesprochen haben. Sie schnarchen „like a brewery“, um mal Dylan Thomas zu zitieren und es wird eine dieser Nächte, wo man sich am nächsten Morgen absolut sicher ist, nicht eine Minute geschlafen zu haben. Blanker, abgrundtiefer Hass! Andries meint zwar, ich hätte, wenn er wach wurde, geschlafen, aber es fühlt sich nicht so an.
Und jetzt auf diesen Mist-Berg hoch, denke ich am Morgen des zweiten Tages, mit meinen kaputten Knien. Doch, Wunder über Wunder, sie tun kaum weh, hilft das öde Joggen in Scheiß-Berlin also doch. Draußen ist strahlend blauer Himmel, nicht ein Wölkchen trübt die Sicht. Es muss der erste schöne Tag seit Wochen sein, unglaublich! Noch etwas wackelig auf den Beinen machen wir uns auf in Richtung Talende durch den schönen Morgen. Unter einer Fichte gleich neben dem Pfad versteckt sich ein Fuchs, der uns misstrauisch beäugt und die Schafe bimmeln über die Hänge. Der Gletscherbach glitzert in der Sonne und wird allmählich kleiner und kleiner unter uns. Nach einer Stunde sind wir an der ersten Höhenstufe angelangt und zu unseren Füßen liegt eine absolute Idylle. So ein schönes Tal! Inzwischen ist meine Müdigkeit verflogen und wenig später beim Klettern im Steig fühlt sich alles genau richtig an und ich habe nun das Gefühl, dass wir es wohl packen werden. Es geht richtig aufwärts, ca. 500 Meter werden es wohl sein, zum Teil fast senkrechter Fels über Eisentritte und Leitern, dann wieder ein schmaler Pfad am tiefen Abhang mit duftenden Bergblumen und die Wand herunterrieselndem, herrlich frischem Wasser. Jetzt habe ich es wieder, das Wir-sind-in-den-Bergen-Gefühl. Ziemlich schnell erreichen wir den ehemaligen Gletscherboden auf 2000 Metern. Das Höllental unter uns sieht jetzt noch idyllischer aus, mit seinem sich schlängelnden, silbern leuchtenden Bach und um uns sind die nackten Berghänge wieder zum Greifen nah, mit einem schon beinahe unwirklich blauem Himmel darüber. Vorne ist die Zugspitze, man sieht jetzt schon deutlich ihren zugebauten Gipfel mit der Kachelmann-Feste. Andries spekuliert, ob es die Bayern angesichts dieser beeindruckenden Felswand gleich gegenüber der Zugspitze nicht unglaublich juckt, dort die Gesichtszüge von König Ludwig, Strauss, Stäuber und Ratzinger übermenschengroß in den Stein zu hauen. Unten drunter klebt der Höllentalferner, die nächste Etappe. Doch vorher müssen wir durch die Schotterberge, die er beim Abschmelzen liegen gelassen hat, was ziemlich unschönes Zickzack-Laufen durch Geröll bedeutet. Der Anstieg schlaucht mich nun doch etwas, und bald turnt Andries einige hundert Meter vor mir her, während mich Gruppe um Gruppe von Nachsteigenden überholt und ich verfluche ihn, den Arsch, nie wartet er, könnte ja wenigstens zurück schauen wo ich bleibe, hoffentlich fegt ihn eine Gerölllawine jetzt da links runter zum Gletschertor, unkollegialer Sack, jedes Mal dasselbe… Grummelnd trotte ich hinterdrein und nehme mir vor ganz furchtbar sauer zu sein, wenn ich da oben auf dem Schotterhügel ankomme, wo er jetzt tatsächlich auf mich wartet. Gelingt mir natürlich nicht wirklich. Und dann sind wir am Gletscher und jetzt, aus der Nähe, sieht man, dass er ziemlich steil ist, 250 Höhenmeter auf kurzer Distanz bis zum Einstieg in die Wand müssen wir jetzt im Schnee zurücklegen und wir freuen uns, dass wir die Steigeisen dabei haben.
Und dann stapfen wir ihn hinauf, immer in den Tritten der Vorderleute und das strengt uns jetzt beide an. Mir im Nacken sitzt ein Brite, was mich etwas stresst, weil ich ihn dicht hinter mir, quasi an meinen Fersen, hören kann. Die Steigung ist enorm, links und rechts fallen die weißen Flächen des Ferners hinab, sogar ein paar Gletscherspalten kann er noch aufweisen, und immer noch ist man nicht oben, erst mal Pause und bis zehn zählen, ach verdammt, der Brite wartet schon. Schließlich erreichen wir auf 2500 Metern den blanken Fels. Es gibt eine kleine, von den Vorgängern platt getretene Fläche im steilen Schnee, wo man die Eisen wieder ablegen kann. Ein toller Rastplatz! Die ganzen mehr als tausend Höhenmeter bis zurück zur Höllentalangerhütte können wir von hier aus überblicken. Unter uns schlängelt sich Gruppe um Gruppe über den Gletscher. Dann wenden wir uns dem Einstieg in den Klettersteig zu. So was nennt man jetzt wohl Schlüsselstelle. Die Randkluft bis zum Fels ist einen guten Meter breit, eine Schneebrücke bis an die Wand heran gibt es zu diesem Zeitpunkt des Jahres nicht mehr, und so müssen wir ungesichert in die Spalte einsteigen, um an den ersten Griff der Metallleiter zu gelangen. Einen Fuß am Berg, einen auf dem Gletscher grätscheln wir über die tief unter uns verschwindende Kluft und ziehen uns die Sprossen hinauf, wo wir uns schnellstens Einhaken. O.k., das war kitzlig, da hätte man jetzt nicht reinrutschen wollen. Was nun folgt, sind noch mal 1 ½ Stunden steiles Steigen und Klettern über dem Schwindel erregenden Abgrund. Unterwegs schließen wir noch ein paar flüchtige Bekanntschaften - Andries mit irgendwelchen Frauen und ihren Rückansichten, deren Plastizität von schräg unten ihn dazu antreibt, mit ihnen tempomäßig Schritt zu halten und Smalltalk zu machen, wobei er versucht, mit der Schilderung unseres Bergprojekts Eindruck zu schinden. Ich gebe derweil drei jungen Typen, die mich von hinten überholen etwas von meinem Dextroenergen ab, eine absolute Prämiere und noch nie da gewesen! Sie sind sehr dankbar. Dann erreichen wir den Grad, etwa 50 Meter unterhalb des Gipfels. Die andere Flanke des Berges öffnet sich nun plötzlich unserem Blick, zu der hin er genauso steil abfällt. Tief unten leuchtet blaugrün der Eibsee, dann der sehr ausgesetzte, scharfe Grat, gefolgt vom nicht weniger tief eingeschnittenen Höllental mit dem Ferner. Darüber hohe Berge. Ein atemberaubender Ausblick! Wir machen an diesem luftigen Platz länger Pause, so schön war es lange nicht! Links über uns hängt der Berggipfel. Man sieht jetzt schon die Tagestouristen dort oben und hört das Surren der Seilbahn. Die Zivilisation wartet und glotzt durch Ferngläser zu uns herab. Wir nehmen uns vor, besonders stark zu stinken, wenn wir oben sind und nehmen die restlichen Meter in Angriff. Noch mal erreichen wir einen Grat und wieder öffnet sich eine Flanke des Berges und wir sehen unten das mit Schneeflecken betupfte Zugspitzplatt. Darüber bis zum Horizont eine Bergkette an der anderen. Wir sind noch nicht ganz oben, aber wir wissen schon jetzt: so eine Rundsicht hatten wir womöglich noch nie bisher.
Ein paar Minuten später bewahrheitet sich das. Es ist atemberaubend! 150, 200 km weit kann man wohl gucken, und dass sich hier oben die Leute gegenseitig auf den Zehen stehen, ist uns herzlich egal. Das Gipfelgefühl ist nach dem dramatisch steilen Aufstieg sehr, sehr befriedigend. Ich nehme meinen Steinaustausch vor und annektiere damit die Zugspitze für die Lausitz. Nachdem diese Last von meinen Schultern genommen ist und die Euphorie der ersten Gipfelminuten sich etwas legt, nehme ich mein Umfeld etwas näher in den Blick. Die Zugspitze ist ein dialektischer Gipfel. Hier oben prallen die Welten aufeinander. Eigentlich hat sie zwei Gipfel, so wie Lummerland. Der eine, etwas höhere, trägt das goldene Gipfelkreuz, das von Nahem aber eher den Charme von zerkratzter, gelb angepinselter Hartplaste verströmt. Hierhinauf führt der Weg für die Coolen, Unangepassten, Durchtrainierten und Schwindelfreien wie wir es sind, durchs grausige Höllental oder noch gefährlicher über den gemeinen, gewitteranfälligen Jubiläumsgrat. Der andere, etwas niedrigere trägt die Kachelmann-Feste, gefühlte zehn Bergbahnstationen, einen Regionalbahnhof, ein Postamt, mehrere Biergärten, einen Antennenwald und mit der Heerschar der Tagesausflügler alles Leid dieser Welt. Außerdem ist er ein Fanal für die Allmacht der deutschen Mischbetonlobby. Wie Aliens glotzen sich diese beiden Parteien von Bergbesuchern aus ihren Welten über eine kleine, trennende Scharte hinweg gegenseitig an. Ich fühle mich plötzlich als Zootier, genauer, wie ein Affe auf dem Affenfelsen im großen Freigehege. Oder sind die anderen da drüben die Affen? Ich muss fast lachen, es ist sehr komisch. In die Scharte führen gut gesicherte Leitern hinab und aus ihr auch wieder hinaus. Von der anderen Seite tasten sich dickliche Frauen mit ihren minderjährigen Söhnen langsam und vorsichtig herüber, ihre Blagen, die unbedingt auf den richtigen Gipfel wollen, sichtlich verfluchend und mit panischen Blicken in den Abgrund, der plötzlich sehr nahe ist. Ihre Schwellenangst drückt sie schier zu Boden und so geht alles sehr langsam. Es bildet sich auf diesem kurzen Stück Weges ein ziemlicher Stau, von der einen Seite drängt es das bunt gewandete Völkchen der Bergsteiger hinüber, von der anderen Seite die herandrängende, gesichtslose Masse der Turnschuhtouristen herüber. Die Welten vermischen sich in der Scharte, die einen werden in wenigen Metern Berghelden sein und die anderen für die Zeit auf dem Gipfelplateau wieder Lidlkunden. Nach drei Tagen zum Teil absoluter Einsamkeit ist man innerhalb einiger Schritte plötzlich wieder zurück in der Fußgängerpassage. Nur das man jetzt das Gefühl hat, hier im Moment Jede haben zu können, schließlich ist man einer von den Krassen, drüben vom Affenfelsen. Nun ja, zumindest den Familienpapa uns gegenüber im „höchsten Biergarten Deutschlands“ würden wir wohl wirklich zu einer kurzen gleichgeschlechtlichen Eskapade überredet bekommen, so begeistert und ehrfürchtig, wie er uns bei unseren reich ausgeschmückten Schilderungen unseres Aufstiegs über den Tisch hinweg an den Lippen hängt. Auch der Kellner zollt uns geschäftsmäßige Anerkennung, aber als wir erzählen, dass wir auch für den Abstieg die Füße und nicht eine der Bahnen nehmen wollen, entgleiten ihm die Gesichtszüge ins Ungläubig-Reservierte. Schließlich sind da noch die extrem großen und schwarzen Krähen, die hier oben die Rolle der Spatzen innehaben. Sie kennen keinerlei Scheu, unternehmen zwischen den Tischen waghalsige Raubzüge – und manchmal, da bin ich mir sicher, zerren sie aus Gemeinheit kleine Kinder über die Brüstung in die bodenlose Tiefe.
Irgendwann brechen wir dann doch wieder auf. Es geht jetzt den Normalweg hinunter, erst entlang des Deutsch-Österreichischen Grenzgrates, auf dem ein armdickes Medienkabel herumliegt. Im ersten Moment wollen wir uns im Automatismus einhängen. Aber es ist zu dick. Der Weg knickt dann vom Grat weg und windet sich bald durch die Randmoräne des nicht mehr vorhandenen Gletschers. Der reine Schotter, eine unglaublich ätzende Rutschpartie. Irgendwann stemmen wir bloß noch die Hacken ins Geröll und schliddern in einer beachtlichen Staubwolke talwärts. Unterwegs machen wir den sichtlich entnervten und erschöpften Aufsteigern Mut. Sie sind dafür häufig sehr dankbar. Was für ein mieser Hang! Kein Vergleich mit dem herrlichen Fels drüben über dem Höllentalferner. Im Gefühl, bei der Routenplanung alles richtig gemacht zu haben, kommen wir schließlich auf dem Zugspitzplatt, dem ehemaligen Gletscherboden an. Kein schöner Ort. Schotterhügel ringsum. Der Gletscher ist zwar größtenteils weg, aber die Pflanzen sind noch nicht da. Drüben, am gegenüberliegenden Hang kämpft eine einsame Planierraupe laut heulend um die letzten weißen Flächen, die „Deutschlands einziges Sommerskigebiet“ darstellen. Schräg hinter uns klebt das geschlossene Schneeferner-Hotel schrumpfstadtmäßig an der Wand, ein schlimmer, in seinen Dimensionen maßloser 1970er Jahre-Bau, der mich an die Architektur der Mondbasen in „Doom 3d“ erinnert und dem man zur Erlösung von seinem Elend einen baldigen, massiven Bergrutsch herzlich wünscht. Wir wenden uns ab und hüpfeln in flottem Tempo durch die deprimierende Szenerie. Der Jubiläumsgrat über uns zackt gefährlich in den langsam abendlich werdenden Himmel. Unterwegs zur Knorrhütte vergnügen wir uns noch auf einigen steilen Schneefeldern und freuen uns über die ersten Schafe, die sehr entspannt in der Landschaft herumliegen. Dann sind wir an der Hütte, die sich eng in die Wand kauert und über einen fantastischen Blick ins idyllische Rheintal hinunter und zu den nächsten Gipfeln in Österreich hinüber verfügt. Unglaublich schön! Sofort ist das trostlose Zugspitzplatt vergessen. Da vorne, da muss wohl dazumal das Gletschertor gewesen sein, man hört das Wasser tief im Fels gewaltig mahlen. Da drüben, da führt der Weg über einen Pass weiter in die Alpen hinein, wochenlang könnte man jetzt so weiter machen, bis nach Triest ans Meer. Doch leider führt unser Weg morgen weiter ins Tal hinab, zurück zum Zug. Vorher aber lassen wir uns vor diesem grandiosen Panorama auf der Außenterrasse nieder und trinken viel Bier. Die Krähen vom Gipfel sind auch wieder da. Und dann schlafen wir in einem kleinen, mit Brettern verkleideten Zwei-Personen-Verschlag, in den ich geradeso, Andries aber nur unter extremen Verrenkungen hineinpasst. So eng war es noch nie, auf die Dachschräge über uns trommelt der Regen und alles ist sehr romantisch. Doch auch diesmal kommt es zu keinerlei homoerotischen Übergriffen zwischen den beiden Berghelden, im Gegenteil, ich habe Träume meine Daheimgebliebene thematisierend. Am Morgen stelle ich fest, dass Andries Füße während der Nacht über meine gekreuzt zum Liegen gekommen waren. So animiert doch wieder nur von einer Frau geträumt zu haben – da steht wohl auch in Zukunft männermäßig nichts an.
Wir hatten uns schon am Vorabend auf den Morgen hier oben gefreut, des Lichtes wegen. Und wirklich, die gegenüberliegenden Wände über dem Rheintal leuchten an ihren Spitzen von der hinter ihnen aufgehenden Sonne. Vom Tal selbst ist nichts zu sehen, zweihundert Meter unter der Knorrhütte beginnen die Wolken. Schon beim Loslaufen legen wir die wasserfesten Jacken an, und wirklich, nach einer halben Stunde schluckt uns das Talwetter, eine nieselig-nasse, nebelverhangene, wattebauschige Welt, in der schemenhaft Sträucher und später Bäume am Wegesrand stehen und alle Geräusche gedämpft, wie durch einen Schleier zu uns dringen. Es riecht nach Schaf in diesem Nebel, manchmal hören wir auch ein fernes Blöken oder das einsame Gebimmel einer Glocke. Und von überall her rauscht es. Nie bekommen wir einen der zahllosen Wasserfälle zu Gesicht, aber hören können wir sie aus allen Richtungen. Das Rheintal muss atemberaubend schön sein, schon sein Klang ist beeindruckend! Bis um 12.00 Uhr braucht die Sonne, um die dicke Brühe über unseren Köpfen wegzudampfen. Da sind wir aber schon längst am Talboden und eilen der unfassbar blauen Partnach nach, die wild und schäumend neben uns zu Tale lärmt. Nur hin und wieder eine kurze Rast, etwas von dem herrlichen Wasser trinken und weiter geht es, denn Andries will den frühen Zug erwischen. Und so kommt es wohl, dass ich mir in einem unachtsamen Moment meine beiden Bergstöcke blöde in einer auf dem Weg liegenden Querungshilfe verhake, überlaste und mittendurch breche. Meine treuen Begleiter, Freunde meiner armen Knie! Zwar ist es besser ihr brecht, als ich – aber trotzdem, nach all den Bergtouren schmerzt mich euer Tod. Andries muss sie dann unter widerwilligem Gemurre an sich nehmen, denn ich will die beiden würdig bestatten.
Zum Schluss gibt es noch ein Novum – wir bezahlen Eintrittsgeld, um die Berge verlassen zu dürfen. Die Partnachklamm gilt es zu durchqueren und einen Euro muss man dafür entrichten. Doch nach den eindrucksvollen, vielleicht fünfhundert Metern Weges entlang des tosenden Baches, die irgendwelche Unentwegten hier in den blanken Fels gehauen haben, erscheint uns dieser Obolus an ihren Schweiß mehr als gerechtfertigt. Und so findet diese bemerkenswerte, wunderschöne Tour auf unseren inzwischen bereits achten Gipfel, den dritten in den Alpen, ein sehr würdiges Finale.
Abschließend noch der Hinweis, dass man auch mit einer Rest-Urlaubskasse von sieben Euro eine achtstündige Wartezeit auf den Nachtzug im gerade an diesem Wochenende seine 850-Jahrfeier begehenden München überstehen kann, ohne zu verhungern. Und die schockiert-tadelnden Blicke der dortigen Innenstädter auf meine verschlammten Bergschuhe, mit denen ich ihre reinlichen Trottoirs besudelte, gab es sogar ganz umsonst.
Und dann tatsächlich, noch etwas wacklig auf den Beinen und misstrauisch in sich hineinlauschend, finde ich mich an besagtem Donnerstag gegen 14:00 Uhr auf besagtem Bahnsteig, und der Andries entsteigt dem Zug. Das Wetter ist auch noch so ein Thema diesmal. Feiner Niesel verhüllt das Tal von GP, die Berge könnten genauso gut hunderte Kilometer weit weg sein, obwohl sie laut Karte das Siedlungskonglomerat eng umstellen, die Partnach wälzt sich als reißendes Wildbachungetüm Hochwasser führend durch die Ortschaft und in dem italienischen Feinkostladen, in dem ich den Vormittag wartend verbracht habe (da Anfahrt mit dem Nachtzug von Berlin aus), hatten sie mir schon mal ein paar Alternativen im Bereich um 1000 Höhenmeter aufgezählt, die auch absolut sehenswert wären, ehrlich. Aber dann laufen wir wirklich und tatsächlich los und mit dem Laufen vergehen die nagenden Zweifel und bald haben wir in dichtester Nebelbrühe die ersten 600 Höhenmeter gemacht. Am Bayerischen Haus freuen wir uns über die Tafel mit der Erklärung des Alpenpanoramas, dass sich irgendwo da draußen befinden soll und danach kommen noch mal ein paar hundert Meter Anstieg über Wege, die wir eigentlich nicht nutzen dürfen, weil hier im Sommer die verzweifelte Wintersportwirtschaft versucht, mit schwerem Gerät die Hänge schneekanonentauglich zu machen, für die winterurlaubernden Russen, die hier nach Andries Kenntnisstand in Scharen auftreten sollen. Im Nebel heulen schwere Sechsachser und Bagger die Hänge hoch und runter und wir schleichen uns über lehmige Pisten, die einst Almwege waren weiter bergan und sind plötzlich irgendwie auch froh, dass wir das ganze Elend nicht sehen können. Oben, auf 1700 Metern am Kreuzeckhaus reißt es vor uns tatsächlich mal kurz auf und wir erahnen schemenhaft die Alpspitze, an der wir morgen Klettersteigerfahrung sammeln wollen. Das gibt Hoffnung und zufrieden beziehen wir hier unser Nachtquartier und an der Essensausgabe klaue ich noch einen Löffel, weil ich den nämlich in Berlin vergessen habe. Andries duscht, ich warte damit – ein Fehler, wenn man so will, die nächsten beiden Bauden bieten nur Waschbecken mit kaltem Wasser – was ich aber jetzt noch nicht weiß. Nachts werde ich vom Schnarchen eines Sachsen im Matratzenlager wach und wünsche ihm Schlechtes.
Der nächste Morgen bringt tatsächlich erste Wolkenlücken und die Alpspitze ist schon fast zur ehrfurchtgebietenden Gänze zu sehen. Schnell erreichen wir auf 2100 Metern die Bergstation der Kreuzeck-Bahn. Und nun können wir schon das Tal sehen, richtig Bergpanorama und mit einem Tag Verspätung stellt sich das lang vermisste Berggefühl wieder ein und irgendwie ist alles richtig. Wenig nach uns erreicht auch der verschnarchte Sachse mit seinen beiden Kumpels unseren Standtort und nach ein wenig Smalltalk stellt sich heraus, dass sie die haargenau gleiche Tour wie wir planen und ich bin froh, dass ich noch ein paar Oropaxe von der Großglockner-Tour übrig und bei mir habe. Und dann geht’s los, die Alpspitze ist inzwischen unverhüllt und zum Greifen nah, reichlich 500 Meter steiler Fels trennen uns vom Gipfelkreuz, das sich unterdessen tatsächlich gegen den strahlend blauen Himmel abzeichnet. Der Klettersteig war im Vorfeld als Einsteigerübungsplatz charakterisiert worden – und das stimmte. Sehr viel Metall im Fels, sodass wir lange auf das Anlegen des Sicherungssets verzichten und einfach so die Wand hochklettern. Erst unterhalb des Gipfelgrates haken wir uns mehr zur psychologischen Unterstützung ein paar Mal ein. In Richtung Höllental fällt der Berg unfassbar steil und tief ab, ein grausiger, schöner Abgrund. Da beruhigen die beiden Karabiner im Drahtseil, und wenig später stehen wir oben auf dem gewaltigen Gebirgseckpfeiler. Ein schöner Berg, ganz klar und eigentlich ein absolut vollwertiges Ziel – aber morgen wartet die Zugspitze, die wolkenverhangen hinter uns nur zu erahnen ist. Ihren Gletscher sieht man, und dass er sehr steil ist, sieht man auch. Mir wird bewusst, dass es jetzt 1300 Meter tief in diesen furchtbaren Abgrund da hinuntergeht und morgen 1600 Meter da hinten ganz am Ende wieder aus ihm hinauf. Plötzlich spür ich meine Knie und mir schwant Böses. Ich schiebe den Gedanken an womögliche Überforderung weit von mir und tapere Andries hinterher, der schon damit begonnen hat, dem Grat in Richtung Grieskarscharte zu folgen. Wir merken schnell, dass hier mehr Konzentration als beim Aufstieg gefragt ist. Bodenlose Abgründe zu beiden Seiten und im Vergleich zu eben recht spärlich angebrachte Sicherungen. Andries genügt der Thrill noch nicht ganz und er nutzt das erste sich bietende Minischneefeld, um einige Schneebälle nach mir zu schmeißen. Mir fällt wieder ein, dass es immer auch seine Schattenseiten hat, mit ihm mehrere Tage lang im Gebirge allein unterwegs zu sein – und dass ich das bei jedem neuen Berg immer wieder aufs Neue lernen muss.
An der Scharte, am tiefsten Punkt des Grates sehen wir drüben auf der anderen Seite gerade den Schnarcher and his friends die letzte Gipfelsteigung in Angriff nehmen. Ich winke hin, er winkt zurück. Die Schnellsten sind sie ja nicht, denke ich so bei mir. Doch jetzt volle Aufmerksamkeit dem Steig. Es geht über einen steil abfallenden Pfeiler mächtig abwärts ins Mathaisenkar hinunter, senkrechte Hänge ringsumher und wüste Schotterhalden tief unter uns und immer noch gerade mal genug Tritte in der Strecke, dass es eben so geht. Das Sicherungsset wird ordentlich benutzt und ich bin einige Hundert Meter lang viel zu beschäftigt, um an meine Knie zu denken. Doch dann kommt der Talboden in Sicht und mit ihm schmerzen die Knorpel mehr und mehr, und als wir den Schotter erreichen, befehle ich Andries, stehen zu bleiben, denn er hat meine Bergstöcke hinten am Rucksang hängen und ohne die gehe ich jetzt keinen Schritt mehr und überhaupt ist es wieder so schlimm wie damals in der Tatra, wozu jogge ich eigentlich in Scheiß-Berlin durch den Beton, das kann ja morgen noch heiter werden. Andries sagt, ich solle kleinere Schritte machen. Mach ich. Hilft. Ich humple ihm hinterdrein durch das wilde, im Nachmittagsdämmerlicht liegende Tal. Der Himmel hat sich wieder zugezogen. Wir suchen die Wand hinter uns nach den drei Relaxten ab und irgendwann sehen wir sie, oben am Grad und ich bin ein wenig fassungslos. Haben die da oben auf dem Gipfel gegrillt und ein Nickerchen gemacht, oder was. Die müssen noch die ganze Wand runter, bei dem Tempo kommen die, wenn überhaupt, im Dunkeln in der Hütte an. Wir befinden, dass sie sich zu morgen wohl etwas werden steigern müssen und wenden uns wieder unserem Geschäft zu. Unterdessen sind wir am oberen Rand des Höllentals angelangt, ein tiefes, dunkles, grünes V in den Bergen. Gegenüber stürzt sich ein mächtiger Wasserfall aus dem Berg donnernd in die Tiefe. Alles sehr beeindruckend. Der Talabschluss mit dem Höllentalferner und der Zugspitze oben drüber sieht brutal aus von hier und ich halte meinen Knien die Augen zu und erzähle ihnen lieber nichts von den morgigen Plänen. Immer weiter und weiter hinunter, unterdessen regnet es auch wieder. Na, die werden Spaß haben, da oben hinter uns. Wir sorgen uns etwas und ich schäme mich für meine bösen Wünsche aus der Nacht zuvor.
Dann sind wir an der Hütte. Im ersten Moment denke ich, dass noch keine zuvor so malerisch gelegen war, wie diese. Drinnen ist es ziemlich voll, man merkt, dass sich hier unten alles sammelt, was morgen die Zugspitze hoch will. Wir machen gleich Meldung, dass da noch drei kommen werden, die ganz schön langsam sind. Der Baudenwirt wirkt nicht sehr besorgt und macht launige Bemerkungen darüber, dass man in den Bergen halt wissen muss, worauf man sich einlässt. Auch sonst herrscht in der Höllentalangerhütte ein rauer Ton. An den Wänden im Matratzenlager steht „Maul halten“ in Frakturschrift. Wirkt ein bisschen wie eine Kulisse in „Return to Castle Wolfenstein“. Draußen kochen wir dann unser allabendliches Zeugs auf dem Kocher und beobachten versonnen die Bergschafe. Bei unserem anschließenden freien Assoziieren über die idealen Eigenschaften eines Leitschafes und seine womögliche Intelligenz kommen wir nicht auf einen Nenner und alles ist wie immer. Dann wird es allmählich dunkel, der Sachse trudelt entspannt mit seinen beiden Begleitern ein, meine Knie fühlen sich beim Treppensteigen unterdessen wieder ganz passabel an und wir sacken noch ein bisschen im Schankraum ab. Und noch vor allen anderen ab in den Schlafsack, Oropaxe rein, ausruhen. Aber ist nicht. Unter uns (Doppelstockbett) nächtigt eine Horde britische Bergsteigerskins, die den Abend über am Nachbartisch schon ausgiebig dem Bier zugesprochen haben. Sie schnarchen „like a brewery“, um mal Dylan Thomas zu zitieren und es wird eine dieser Nächte, wo man sich am nächsten Morgen absolut sicher ist, nicht eine Minute geschlafen zu haben. Blanker, abgrundtiefer Hass! Andries meint zwar, ich hätte, wenn er wach wurde, geschlafen, aber es fühlt sich nicht so an.
Und jetzt auf diesen Mist-Berg hoch, denke ich am Morgen des zweiten Tages, mit meinen kaputten Knien. Doch, Wunder über Wunder, sie tun kaum weh, hilft das öde Joggen in Scheiß-Berlin also doch. Draußen ist strahlend blauer Himmel, nicht ein Wölkchen trübt die Sicht. Es muss der erste schöne Tag seit Wochen sein, unglaublich! Noch etwas wackelig auf den Beinen machen wir uns auf in Richtung Talende durch den schönen Morgen. Unter einer Fichte gleich neben dem Pfad versteckt sich ein Fuchs, der uns misstrauisch beäugt und die Schafe bimmeln über die Hänge. Der Gletscherbach glitzert in der Sonne und wird allmählich kleiner und kleiner unter uns. Nach einer Stunde sind wir an der ersten Höhenstufe angelangt und zu unseren Füßen liegt eine absolute Idylle. So ein schönes Tal! Inzwischen ist meine Müdigkeit verflogen und wenig später beim Klettern im Steig fühlt sich alles genau richtig an und ich habe nun das Gefühl, dass wir es wohl packen werden. Es geht richtig aufwärts, ca. 500 Meter werden es wohl sein, zum Teil fast senkrechter Fels über Eisentritte und Leitern, dann wieder ein schmaler Pfad am tiefen Abhang mit duftenden Bergblumen und die Wand herunterrieselndem, herrlich frischem Wasser. Jetzt habe ich es wieder, das Wir-sind-in-den-Bergen-Gefühl. Ziemlich schnell erreichen wir den ehemaligen Gletscherboden auf 2000 Metern. Das Höllental unter uns sieht jetzt noch idyllischer aus, mit seinem sich schlängelnden, silbern leuchtenden Bach und um uns sind die nackten Berghänge wieder zum Greifen nah, mit einem schon beinahe unwirklich blauem Himmel darüber. Vorne ist die Zugspitze, man sieht jetzt schon deutlich ihren zugebauten Gipfel mit der Kachelmann-Feste. Andries spekuliert, ob es die Bayern angesichts dieser beeindruckenden Felswand gleich gegenüber der Zugspitze nicht unglaublich juckt, dort die Gesichtszüge von König Ludwig, Strauss, Stäuber und Ratzinger übermenschengroß in den Stein zu hauen. Unten drunter klebt der Höllentalferner, die nächste Etappe. Doch vorher müssen wir durch die Schotterberge, die er beim Abschmelzen liegen gelassen hat, was ziemlich unschönes Zickzack-Laufen durch Geröll bedeutet. Der Anstieg schlaucht mich nun doch etwas, und bald turnt Andries einige hundert Meter vor mir her, während mich Gruppe um Gruppe von Nachsteigenden überholt und ich verfluche ihn, den Arsch, nie wartet er, könnte ja wenigstens zurück schauen wo ich bleibe, hoffentlich fegt ihn eine Gerölllawine jetzt da links runter zum Gletschertor, unkollegialer Sack, jedes Mal dasselbe… Grummelnd trotte ich hinterdrein und nehme mir vor ganz furchtbar sauer zu sein, wenn ich da oben auf dem Schotterhügel ankomme, wo er jetzt tatsächlich auf mich wartet. Gelingt mir natürlich nicht wirklich. Und dann sind wir am Gletscher und jetzt, aus der Nähe, sieht man, dass er ziemlich steil ist, 250 Höhenmeter auf kurzer Distanz bis zum Einstieg in die Wand müssen wir jetzt im Schnee zurücklegen und wir freuen uns, dass wir die Steigeisen dabei haben.
Und dann stapfen wir ihn hinauf, immer in den Tritten der Vorderleute und das strengt uns jetzt beide an. Mir im Nacken sitzt ein Brite, was mich etwas stresst, weil ich ihn dicht hinter mir, quasi an meinen Fersen, hören kann. Die Steigung ist enorm, links und rechts fallen die weißen Flächen des Ferners hinab, sogar ein paar Gletscherspalten kann er noch aufweisen, und immer noch ist man nicht oben, erst mal Pause und bis zehn zählen, ach verdammt, der Brite wartet schon. Schließlich erreichen wir auf 2500 Metern den blanken Fels. Es gibt eine kleine, von den Vorgängern platt getretene Fläche im steilen Schnee, wo man die Eisen wieder ablegen kann. Ein toller Rastplatz! Die ganzen mehr als tausend Höhenmeter bis zurück zur Höllentalangerhütte können wir von hier aus überblicken. Unter uns schlängelt sich Gruppe um Gruppe über den Gletscher. Dann wenden wir uns dem Einstieg in den Klettersteig zu. So was nennt man jetzt wohl Schlüsselstelle. Die Randkluft bis zum Fels ist einen guten Meter breit, eine Schneebrücke bis an die Wand heran gibt es zu diesem Zeitpunkt des Jahres nicht mehr, und so müssen wir ungesichert in die Spalte einsteigen, um an den ersten Griff der Metallleiter zu gelangen. Einen Fuß am Berg, einen auf dem Gletscher grätscheln wir über die tief unter uns verschwindende Kluft und ziehen uns die Sprossen hinauf, wo wir uns schnellstens Einhaken. O.k., das war kitzlig, da hätte man jetzt nicht reinrutschen wollen. Was nun folgt, sind noch mal 1 ½ Stunden steiles Steigen und Klettern über dem Schwindel erregenden Abgrund. Unterwegs schließen wir noch ein paar flüchtige Bekanntschaften - Andries mit irgendwelchen Frauen und ihren Rückansichten, deren Plastizität von schräg unten ihn dazu antreibt, mit ihnen tempomäßig Schritt zu halten und Smalltalk zu machen, wobei er versucht, mit der Schilderung unseres Bergprojekts Eindruck zu schinden. Ich gebe derweil drei jungen Typen, die mich von hinten überholen etwas von meinem Dextroenergen ab, eine absolute Prämiere und noch nie da gewesen! Sie sind sehr dankbar. Dann erreichen wir den Grad, etwa 50 Meter unterhalb des Gipfels. Die andere Flanke des Berges öffnet sich nun plötzlich unserem Blick, zu der hin er genauso steil abfällt. Tief unten leuchtet blaugrün der Eibsee, dann der sehr ausgesetzte, scharfe Grat, gefolgt vom nicht weniger tief eingeschnittenen Höllental mit dem Ferner. Darüber hohe Berge. Ein atemberaubender Ausblick! Wir machen an diesem luftigen Platz länger Pause, so schön war es lange nicht! Links über uns hängt der Berggipfel. Man sieht jetzt schon die Tagestouristen dort oben und hört das Surren der Seilbahn. Die Zivilisation wartet und glotzt durch Ferngläser zu uns herab. Wir nehmen uns vor, besonders stark zu stinken, wenn wir oben sind und nehmen die restlichen Meter in Angriff. Noch mal erreichen wir einen Grat und wieder öffnet sich eine Flanke des Berges und wir sehen unten das mit Schneeflecken betupfte Zugspitzplatt. Darüber bis zum Horizont eine Bergkette an der anderen. Wir sind noch nicht ganz oben, aber wir wissen schon jetzt: so eine Rundsicht hatten wir womöglich noch nie bisher.
Ein paar Minuten später bewahrheitet sich das. Es ist atemberaubend! 150, 200 km weit kann man wohl gucken, und dass sich hier oben die Leute gegenseitig auf den Zehen stehen, ist uns herzlich egal. Das Gipfelgefühl ist nach dem dramatisch steilen Aufstieg sehr, sehr befriedigend. Ich nehme meinen Steinaustausch vor und annektiere damit die Zugspitze für die Lausitz. Nachdem diese Last von meinen Schultern genommen ist und die Euphorie der ersten Gipfelminuten sich etwas legt, nehme ich mein Umfeld etwas näher in den Blick. Die Zugspitze ist ein dialektischer Gipfel. Hier oben prallen die Welten aufeinander. Eigentlich hat sie zwei Gipfel, so wie Lummerland. Der eine, etwas höhere, trägt das goldene Gipfelkreuz, das von Nahem aber eher den Charme von zerkratzter, gelb angepinselter Hartplaste verströmt. Hierhinauf führt der Weg für die Coolen, Unangepassten, Durchtrainierten und Schwindelfreien wie wir es sind, durchs grausige Höllental oder noch gefährlicher über den gemeinen, gewitteranfälligen Jubiläumsgrat. Der andere, etwas niedrigere trägt die Kachelmann-Feste, gefühlte zehn Bergbahnstationen, einen Regionalbahnhof, ein Postamt, mehrere Biergärten, einen Antennenwald und mit der Heerschar der Tagesausflügler alles Leid dieser Welt. Außerdem ist er ein Fanal für die Allmacht der deutschen Mischbetonlobby. Wie Aliens glotzen sich diese beiden Parteien von Bergbesuchern aus ihren Welten über eine kleine, trennende Scharte hinweg gegenseitig an. Ich fühle mich plötzlich als Zootier, genauer, wie ein Affe auf dem Affenfelsen im großen Freigehege. Oder sind die anderen da drüben die Affen? Ich muss fast lachen, es ist sehr komisch. In die Scharte führen gut gesicherte Leitern hinab und aus ihr auch wieder hinaus. Von der anderen Seite tasten sich dickliche Frauen mit ihren minderjährigen Söhnen langsam und vorsichtig herüber, ihre Blagen, die unbedingt auf den richtigen Gipfel wollen, sichtlich verfluchend und mit panischen Blicken in den Abgrund, der plötzlich sehr nahe ist. Ihre Schwellenangst drückt sie schier zu Boden und so geht alles sehr langsam. Es bildet sich auf diesem kurzen Stück Weges ein ziemlicher Stau, von der einen Seite drängt es das bunt gewandete Völkchen der Bergsteiger hinüber, von der anderen Seite die herandrängende, gesichtslose Masse der Turnschuhtouristen herüber. Die Welten vermischen sich in der Scharte, die einen werden in wenigen Metern Berghelden sein und die anderen für die Zeit auf dem Gipfelplateau wieder Lidlkunden. Nach drei Tagen zum Teil absoluter Einsamkeit ist man innerhalb einiger Schritte plötzlich wieder zurück in der Fußgängerpassage. Nur das man jetzt das Gefühl hat, hier im Moment Jede haben zu können, schließlich ist man einer von den Krassen, drüben vom Affenfelsen. Nun ja, zumindest den Familienpapa uns gegenüber im „höchsten Biergarten Deutschlands“ würden wir wohl wirklich zu einer kurzen gleichgeschlechtlichen Eskapade überredet bekommen, so begeistert und ehrfürchtig, wie er uns bei unseren reich ausgeschmückten Schilderungen unseres Aufstiegs über den Tisch hinweg an den Lippen hängt. Auch der Kellner zollt uns geschäftsmäßige Anerkennung, aber als wir erzählen, dass wir auch für den Abstieg die Füße und nicht eine der Bahnen nehmen wollen, entgleiten ihm die Gesichtszüge ins Ungläubig-Reservierte. Schließlich sind da noch die extrem großen und schwarzen Krähen, die hier oben die Rolle der Spatzen innehaben. Sie kennen keinerlei Scheu, unternehmen zwischen den Tischen waghalsige Raubzüge – und manchmal, da bin ich mir sicher, zerren sie aus Gemeinheit kleine Kinder über die Brüstung in die bodenlose Tiefe.
Irgendwann brechen wir dann doch wieder auf. Es geht jetzt den Normalweg hinunter, erst entlang des Deutsch-Österreichischen Grenzgrates, auf dem ein armdickes Medienkabel herumliegt. Im ersten Moment wollen wir uns im Automatismus einhängen. Aber es ist zu dick. Der Weg knickt dann vom Grat weg und windet sich bald durch die Randmoräne des nicht mehr vorhandenen Gletschers. Der reine Schotter, eine unglaublich ätzende Rutschpartie. Irgendwann stemmen wir bloß noch die Hacken ins Geröll und schliddern in einer beachtlichen Staubwolke talwärts. Unterwegs machen wir den sichtlich entnervten und erschöpften Aufsteigern Mut. Sie sind dafür häufig sehr dankbar. Was für ein mieser Hang! Kein Vergleich mit dem herrlichen Fels drüben über dem Höllentalferner. Im Gefühl, bei der Routenplanung alles richtig gemacht zu haben, kommen wir schließlich auf dem Zugspitzplatt, dem ehemaligen Gletscherboden an. Kein schöner Ort. Schotterhügel ringsum. Der Gletscher ist zwar größtenteils weg, aber die Pflanzen sind noch nicht da. Drüben, am gegenüberliegenden Hang kämpft eine einsame Planierraupe laut heulend um die letzten weißen Flächen, die „Deutschlands einziges Sommerskigebiet“ darstellen. Schräg hinter uns klebt das geschlossene Schneeferner-Hotel schrumpfstadtmäßig an der Wand, ein schlimmer, in seinen Dimensionen maßloser 1970er Jahre-Bau, der mich an die Architektur der Mondbasen in „Doom 3d“ erinnert und dem man zur Erlösung von seinem Elend einen baldigen, massiven Bergrutsch herzlich wünscht. Wir wenden uns ab und hüpfeln in flottem Tempo durch die deprimierende Szenerie. Der Jubiläumsgrat über uns zackt gefährlich in den langsam abendlich werdenden Himmel. Unterwegs zur Knorrhütte vergnügen wir uns noch auf einigen steilen Schneefeldern und freuen uns über die ersten Schafe, die sehr entspannt in der Landschaft herumliegen. Dann sind wir an der Hütte, die sich eng in die Wand kauert und über einen fantastischen Blick ins idyllische Rheintal hinunter und zu den nächsten Gipfeln in Österreich hinüber verfügt. Unglaublich schön! Sofort ist das trostlose Zugspitzplatt vergessen. Da vorne, da muss wohl dazumal das Gletschertor gewesen sein, man hört das Wasser tief im Fels gewaltig mahlen. Da drüben, da führt der Weg über einen Pass weiter in die Alpen hinein, wochenlang könnte man jetzt so weiter machen, bis nach Triest ans Meer. Doch leider führt unser Weg morgen weiter ins Tal hinab, zurück zum Zug. Vorher aber lassen wir uns vor diesem grandiosen Panorama auf der Außenterrasse nieder und trinken viel Bier. Die Krähen vom Gipfel sind auch wieder da. Und dann schlafen wir in einem kleinen, mit Brettern verkleideten Zwei-Personen-Verschlag, in den ich geradeso, Andries aber nur unter extremen Verrenkungen hineinpasst. So eng war es noch nie, auf die Dachschräge über uns trommelt der Regen und alles ist sehr romantisch. Doch auch diesmal kommt es zu keinerlei homoerotischen Übergriffen zwischen den beiden Berghelden, im Gegenteil, ich habe Träume meine Daheimgebliebene thematisierend. Am Morgen stelle ich fest, dass Andries Füße während der Nacht über meine gekreuzt zum Liegen gekommen waren. So animiert doch wieder nur von einer Frau geträumt zu haben – da steht wohl auch in Zukunft männermäßig nichts an.
Wir hatten uns schon am Vorabend auf den Morgen hier oben gefreut, des Lichtes wegen. Und wirklich, die gegenüberliegenden Wände über dem Rheintal leuchten an ihren Spitzen von der hinter ihnen aufgehenden Sonne. Vom Tal selbst ist nichts zu sehen, zweihundert Meter unter der Knorrhütte beginnen die Wolken. Schon beim Loslaufen legen wir die wasserfesten Jacken an, und wirklich, nach einer halben Stunde schluckt uns das Talwetter, eine nieselig-nasse, nebelverhangene, wattebauschige Welt, in der schemenhaft Sträucher und später Bäume am Wegesrand stehen und alle Geräusche gedämpft, wie durch einen Schleier zu uns dringen. Es riecht nach Schaf in diesem Nebel, manchmal hören wir auch ein fernes Blöken oder das einsame Gebimmel einer Glocke. Und von überall her rauscht es. Nie bekommen wir einen der zahllosen Wasserfälle zu Gesicht, aber hören können wir sie aus allen Richtungen. Das Rheintal muss atemberaubend schön sein, schon sein Klang ist beeindruckend! Bis um 12.00 Uhr braucht die Sonne, um die dicke Brühe über unseren Köpfen wegzudampfen. Da sind wir aber schon längst am Talboden und eilen der unfassbar blauen Partnach nach, die wild und schäumend neben uns zu Tale lärmt. Nur hin und wieder eine kurze Rast, etwas von dem herrlichen Wasser trinken und weiter geht es, denn Andries will den frühen Zug erwischen. Und so kommt es wohl, dass ich mir in einem unachtsamen Moment meine beiden Bergstöcke blöde in einer auf dem Weg liegenden Querungshilfe verhake, überlaste und mittendurch breche. Meine treuen Begleiter, Freunde meiner armen Knie! Zwar ist es besser ihr brecht, als ich – aber trotzdem, nach all den Bergtouren schmerzt mich euer Tod. Andries muss sie dann unter widerwilligem Gemurre an sich nehmen, denn ich will die beiden würdig bestatten.
Zum Schluss gibt es noch ein Novum – wir bezahlen Eintrittsgeld, um die Berge verlassen zu dürfen. Die Partnachklamm gilt es zu durchqueren und einen Euro muss man dafür entrichten. Doch nach den eindrucksvollen, vielleicht fünfhundert Metern Weges entlang des tosenden Baches, die irgendwelche Unentwegten hier in den blanken Fels gehauen haben, erscheint uns dieser Obolus an ihren Schweiß mehr als gerechtfertigt. Und so findet diese bemerkenswerte, wunderschöne Tour auf unseren inzwischen bereits achten Gipfel, den dritten in den Alpen, ein sehr würdiges Finale.
Abschließend noch der Hinweis, dass man auch mit einer Rest-Urlaubskasse von sieben Euro eine achtstündige Wartezeit auf den Nachtzug im gerade an diesem Wochenende seine 850-Jahrfeier begehenden München überstehen kann, ohne zu verhungern. Und die schockiert-tadelnden Blicke der dortigen Innenstädter auf meine verschlammten Bergschuhe, mit denen ich ihre reinlichen Trottoirs besudelte, gab es sogar ganz umsonst.