Eine nimmt für uns Abschied
In „blaubeeren – cerne jagody“ zeigt Maja Nagel das
Verschwinden des Trebendorfer Tiergartens
Blick in die Buche am einstigen Pücklerschen Jagdschloss. Der Baum wurde inzwischen gefällt.
Ziemlich genau in der Mitte der fünfzehn Minuten von
"blaubeeren – cerne jagody" steht eine Umarmung. Edith Penk tastet den
mächtigen Stamm der Buche ab, sucht an seiner Oberfläche nach einer passenden
Struktur – und als sie fündig geworden ist, schmiegt sie sich für ein paar
Sekunden an den Baum. Die Kamera bleibt nah bei ihr. Und auf der Tonspur hebt
das leise Wispern an, das an Schlüsselszenen des Films die jahrhundertealten
Stimmen der Pflanzen dieses verschwindenden Waldes bei Weißwasser symbolisieren
mag, dessen Königen für Frau Penk die alte Buche am einstigen Jagdschloss ist.
Es könnten aber auch die Stimmen der Menschen sein, die über Generationen mit und
von diesem Wald gelebt haben. Und womöglich sind unter ihnen als Letztes nun auch
die Stimmen derjenigen, die ihn derzeit Stück für Stück abholzen, der Kohle
willen, die unter ihm liegt.
Maja Nagel kennt die Szenerie und die Geräusche der näher kommenden Grube seit ihrer frühen Kindheit. In Sichtweite von Litschen, wo die 1959 Geborene einen Teil ihrer Kindheitsjahre verbrachte, zog damals der Tagebau Glückauf III vorbei. Das Nachbardorf Ratzen fiel ihm 1960 zum Opfer, große Teile von Lippen folgten 1961/62. Das Kirchspiel Lohsa war bereits seit den 1930er Jahren vom Bergbau geprägt. So hatte es schon 1928 in seinen ausgedehnten Rittergutswäldern auf zukünftigen Tagebauflächen eine große Holzaktion gegeben, die der heutigen im Trebendorfer Tiergarten kaum nachstand. Bis aus Spanien sollen die Holzaufkäufer nach Lohsa gekommen sein. Zeugnis legen davon heute nur noch einige Fotografien ab. Wenn damals hier an der Kleinen Spree jemand um den verschwindenden Wald so getrauert haben sollte, wie es heute an der Struga Frau Penk tut – dann wissen wir es nicht mehr. Denn niemand hat es festgehalten.
2006 und 2008 hatte Maja Nagel sich im Rahmen zweier transNATURALEN am Bärwalder See mit den Installationen "seeweg" und "abbau – ein kohlefeld" bereits dem Themenfeld der Tagebaulandschaft gewidmet. Am Ufer des neuen Sees kamen die Klänge der in ihm verschwundenen Dörfer in ihren Arbeiten noch einmal zurück in die radikal veränderte Szenerie. Ihr viel beachteter Grafikzyklus "Pole – Felder" von 2008 wählte das gleiche Sujet. Mit "blaubeeren – cerne jagody" vollzieht die Künstlerin nun einen neuen Schritt. Bisher hatte sie sich dem Thema immer retrospektiv genähert, künstlerisch nach den Spuren des Verlorenen geschürft und damit in gewisser Weise ihren eigenen symbolischen Bergbau betrieben. Jetzt nimmt sie erstmals den Moment des Verlustes selbst in den Blick.
"blaubeeren – cerne jagody" ist ein leiser Film. Die Geräusche des Waldes, der Lichtfall zwischen den Baumstämmen, ein Sommerregen auf dem Blätterdach – die Kamera von Julius Günzel nimmt sich viel Zeit, die Sprache dieses Ortes einzufangen. Nur manchmal tritt die Sprache der Menschen hinzu, wenn Edith Penk vom Blaubeersammeln erzählt. Und von der Buche. Die Fahrt mit dem Fahrrad in die Heide und wieder zurück und das anschließende Einkochen der Beeren zuhause in Rohne bilden den Rahmen des Filmes. Ab und zu schweift die Kamera ein wenig ab, dann fällt der Blick auf Stapel bereits gefällten Holzes entlang der von schwerem Gerät zerfurchten Wege. Doch bis zur Umarmung der Buche bleibt die Idylle noch weitestgehend ungetrübt. Erst danach häufen sich die Vorzeichen des nahenden Endes. Zwischen den Baumstämmen hindurch huscht wie ein merkwürdiges Tier eine Forstmaschine vorbei. Der Kahlschlag rückt ins Bild, die Stubben der bereits gerodeten Bäume mit der Kulisse des Kraftwerks Boxberg im Hintergrund. Stumm blättert Edith Penk im "Buchenbuch" auf der Bank unter dem Baum, in das Wanderer in Deutsch und Sorbisch ihre Gedanken im Angesicht der Zerstörung eingetragen haben. Wenn dann als Begleitung zu Christian Penks Heimfahrt inmitten des Holzeinschlags ein Regen auf den Radfahrer niedergeht ist die Assoziation zu Tränen ganz nah.
Es ist die große Stärke des Films, dass er es dem Betrachter überlässt, solche Gedanken zu entwickeln oder eben nicht. Auch seine beiden Protagonisten äußern in den fünfzehn Minuten nirgends offenen Protest. Führt man sich vor Augen, wie engagiert und offen die Penks ansonsten ihre Kritik gegen die Ausbaupläne des Tagebaus Nochten vorbringen, wirkt ihr nüchterner Erzählton und die Begleitung ihres Alltags mit dem Wald umso stärker. Hier wird Abschied genommen und der Trauer Raum gegeben, was auch die hin und wieder hinzutretende, dezent-getragene Musik von Falk Joost unterstreicht. Wenn es eine Anklage gibt, dann wird sie nicht ausgesprochen. Es gibt auch keine relativierende andere Stimme, keinen Politiker, keinen Vertreter des Tagebauunternehmens oder der Bergbausanierung, der womöglich auf den Wald der Zukunft verweisen würde, der hier irgendwann wieder einmal wachsen wird. Das mag man als Strategie zur Verarbeitung des Geschehens und als Blick in die Zukunft akzeptabel finden. Aber nicht im Rahmen dieser fünfzehn Minuten Film. Denn es wird nicht mehr der Wald sein, den wir hier ein letztes Mal sehen. Und die beiden Penks werden nicht mehr da sein, um in ihm erneut auf Beerensuche zu gehen. Im Moment der Trauer relativiert man nicht.
Am Ende von "blaubeeren – cerne jagody" hören wir den Anrufbeantworter von Maja Nagel. Eben hat Frau Penk in wenigen Worten darauf gesprochen, dass in der letzten Nacht die Buche gefällt und abtransportiert wurde. Dazu sehen wir den Tiergarten im Winter. Schnee fällt vom Himmel. Wo der Baum stand, ist nun eine Leerstelle. Die letzten Worte der Anruferin sind: "Tschüß". Dann klickt die Leitung.
"blaubeeren – cerne jagody" ist unter anderem über den Vertrieb Filmpunktart erhältlich: [email protected]
Die DVD bietet Untertitel in Deutsch, Englisch und Schleifer Sorbisch.
Maja Nagel kennt die Szenerie und die Geräusche der näher kommenden Grube seit ihrer frühen Kindheit. In Sichtweite von Litschen, wo die 1959 Geborene einen Teil ihrer Kindheitsjahre verbrachte, zog damals der Tagebau Glückauf III vorbei. Das Nachbardorf Ratzen fiel ihm 1960 zum Opfer, große Teile von Lippen folgten 1961/62. Das Kirchspiel Lohsa war bereits seit den 1930er Jahren vom Bergbau geprägt. So hatte es schon 1928 in seinen ausgedehnten Rittergutswäldern auf zukünftigen Tagebauflächen eine große Holzaktion gegeben, die der heutigen im Trebendorfer Tiergarten kaum nachstand. Bis aus Spanien sollen die Holzaufkäufer nach Lohsa gekommen sein. Zeugnis legen davon heute nur noch einige Fotografien ab. Wenn damals hier an der Kleinen Spree jemand um den verschwindenden Wald so getrauert haben sollte, wie es heute an der Struga Frau Penk tut – dann wissen wir es nicht mehr. Denn niemand hat es festgehalten.
2006 und 2008 hatte Maja Nagel sich im Rahmen zweier transNATURALEN am Bärwalder See mit den Installationen "seeweg" und "abbau – ein kohlefeld" bereits dem Themenfeld der Tagebaulandschaft gewidmet. Am Ufer des neuen Sees kamen die Klänge der in ihm verschwundenen Dörfer in ihren Arbeiten noch einmal zurück in die radikal veränderte Szenerie. Ihr viel beachteter Grafikzyklus "Pole – Felder" von 2008 wählte das gleiche Sujet. Mit "blaubeeren – cerne jagody" vollzieht die Künstlerin nun einen neuen Schritt. Bisher hatte sie sich dem Thema immer retrospektiv genähert, künstlerisch nach den Spuren des Verlorenen geschürft und damit in gewisser Weise ihren eigenen symbolischen Bergbau betrieben. Jetzt nimmt sie erstmals den Moment des Verlustes selbst in den Blick.
"blaubeeren – cerne jagody" ist ein leiser Film. Die Geräusche des Waldes, der Lichtfall zwischen den Baumstämmen, ein Sommerregen auf dem Blätterdach – die Kamera von Julius Günzel nimmt sich viel Zeit, die Sprache dieses Ortes einzufangen. Nur manchmal tritt die Sprache der Menschen hinzu, wenn Edith Penk vom Blaubeersammeln erzählt. Und von der Buche. Die Fahrt mit dem Fahrrad in die Heide und wieder zurück und das anschließende Einkochen der Beeren zuhause in Rohne bilden den Rahmen des Filmes. Ab und zu schweift die Kamera ein wenig ab, dann fällt der Blick auf Stapel bereits gefällten Holzes entlang der von schwerem Gerät zerfurchten Wege. Doch bis zur Umarmung der Buche bleibt die Idylle noch weitestgehend ungetrübt. Erst danach häufen sich die Vorzeichen des nahenden Endes. Zwischen den Baumstämmen hindurch huscht wie ein merkwürdiges Tier eine Forstmaschine vorbei. Der Kahlschlag rückt ins Bild, die Stubben der bereits gerodeten Bäume mit der Kulisse des Kraftwerks Boxberg im Hintergrund. Stumm blättert Edith Penk im "Buchenbuch" auf der Bank unter dem Baum, in das Wanderer in Deutsch und Sorbisch ihre Gedanken im Angesicht der Zerstörung eingetragen haben. Wenn dann als Begleitung zu Christian Penks Heimfahrt inmitten des Holzeinschlags ein Regen auf den Radfahrer niedergeht ist die Assoziation zu Tränen ganz nah.
Es ist die große Stärke des Films, dass er es dem Betrachter überlässt, solche Gedanken zu entwickeln oder eben nicht. Auch seine beiden Protagonisten äußern in den fünfzehn Minuten nirgends offenen Protest. Führt man sich vor Augen, wie engagiert und offen die Penks ansonsten ihre Kritik gegen die Ausbaupläne des Tagebaus Nochten vorbringen, wirkt ihr nüchterner Erzählton und die Begleitung ihres Alltags mit dem Wald umso stärker. Hier wird Abschied genommen und der Trauer Raum gegeben, was auch die hin und wieder hinzutretende, dezent-getragene Musik von Falk Joost unterstreicht. Wenn es eine Anklage gibt, dann wird sie nicht ausgesprochen. Es gibt auch keine relativierende andere Stimme, keinen Politiker, keinen Vertreter des Tagebauunternehmens oder der Bergbausanierung, der womöglich auf den Wald der Zukunft verweisen würde, der hier irgendwann wieder einmal wachsen wird. Das mag man als Strategie zur Verarbeitung des Geschehens und als Blick in die Zukunft akzeptabel finden. Aber nicht im Rahmen dieser fünfzehn Minuten Film. Denn es wird nicht mehr der Wald sein, den wir hier ein letztes Mal sehen. Und die beiden Penks werden nicht mehr da sein, um in ihm erneut auf Beerensuche zu gehen. Im Moment der Trauer relativiert man nicht.
Am Ende von "blaubeeren – cerne jagody" hören wir den Anrufbeantworter von Maja Nagel. Eben hat Frau Penk in wenigen Worten darauf gesprochen, dass in der letzten Nacht die Buche gefällt und abtransportiert wurde. Dazu sehen wir den Tiergarten im Winter. Schnee fällt vom Himmel. Wo der Baum stand, ist nun eine Leerstelle. Die letzten Worte der Anruferin sind: "Tschüß". Dann klickt die Leitung.
"blaubeeren – cerne jagody" ist unter anderem über den Vertrieb Filmpunktart erhältlich: [email protected]
Die DVD bietet Untertitel in Deutsch, Englisch und Schleifer Sorbisch.